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Die Knopfmacherin

Die Knopfmacherin

Titel: Die Knopfmacherin
Autoren: Corinna Neuendorf
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unverwandt, denn jetzt war nicht die Zeit für irgendwelche Erklärungen.
    »Dann kommt rein.«
    Der Alte trat zur Seite, aber sein Blick folgte ihnen nicht, was Melisandes Vermutung bestätigte.
    »Wie ich höre, habt Ihr jemanden bei Euch«, sagte der Mann, nachdem er die Tür ins Schloss gedrückt hatte.
    »Meine Schwester«, sagte Melisande, während sie Alina zu einem der Küchenstühle geleitete und sie sanft darauf absetzte. »Sie ist ziemlich schwach, und ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr etwas zu trinken und zu essen für sie hättet.«
    »Das klingt, als hättet Ihr sie von einem ziemlich schlechten Ort weggeholt.«
    »Dem schlechtesten, den es gibt.« Liebevoll strich sie Alina eine Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste sie auf die Wange. Im Mondschein huschte ein feines Lächeln über ihre Züge.
    Der Alte stand eine Weile ratlos neben ihr, dann sagte er: »Geht in die Küche, dort solltet Ihr alles finden, was Ihr braucht. Und nehmt auch etwas Wasser zum Waschen mit. Das Mädchen riecht, als käme es aus dem Hurenhaus.«
    Melisande schluckte. Hatte Joß ihn eingeweiht? Ohne auf seine Worte einzugehen, eilte sie in die Küche, wo sie zunächst eine Kerze entzündete. Als das Licht die Dunkelheit in die Ecken trieb, suchte sie nach etwas Brot und Käse, außerdem fand sie einen Krug mit Milch.
    Während sie den Laib unter den Arm klemmte und Käse und Milch in den Händen trug, kam ihr wieder Grete in den Sinn. Vor lauter Eile hatten sie ihr nicht gesagt, wo sie hingegangen waren. Ob die Haushälterin sich schon Sorgen machte? Im Wohnraum angekommen, lag Alina auf der Tischplatte und schlief tief und fest. Melisande riss trotzdem etwas Brot für sie ab und brach ein Stück Käse aus dem Laib.
    »Die Kleine ist sicher vollkommen erschöpft«, sagte Petrus, während er sich zum Küchentisch vortastete.
    Melisande blickte ihn verwundert an. War er wirklich blind, oder spielte er das nur? Er zeigte jedenfalls keinerlei Unsicherheit, als er sich auf einen Schemel setzte.
    »Das ist sie«, antwortete Melisande, während sie Alina liebevoll übers Haar strich. Es war verfilzt und sicher voller Läuse, doch darum würde sie sich später kümmern.
    »Joß ist ein guter Junge, der zu seinem Wort steht. Leider gerät er nicht immer an die besten Leute.« Offenbar wusste oder zumindest ahnte Petrus, wer sein Schützling war. »Ich habe ihm schon oft gesagt, dass er sich aus Ärger raushalten soll. Stattdessen sucht er ihn. Es war sicher nicht leicht, das Mädchen zu retten, nicht wahr?«
    »Ganz einfach war es nicht«, sagte sie. Dennoch haben wir es geschafft, fügte sie stumm hinzu. »Ich hoffe nur, er und Bernhard kommen bald hierher«, sagte sie dann wieder laut.
    »Bernhard?« Ein verschmitztes Lächeln verzerrte die Züge des Alten. »Ist das dein Bursche?«
    »Er …« Melisande stockte. Scham ergriff sie plötzlich. Spürte der Alte, was zwischen ihr und Bernhard vorgefallen war?
    »Du brauchst nichts zu sagen, mein Mädchen, schließlich war ich auch mal jung. Ich bin sicher, dass der Junge wiederkommt. Vielleicht solltest du es deiner Schwester gleichtun und ein wenig schlafen.«
    Melisande blickte auf das Brot, den Käse und die Milch. Die Sachen würden ihnen bis zum Morgen nicht weglaufen.
    »Ich würde Alina gern ein wenig bequemer betten«, erklärte sie, während sie mit einer roten Haarsträhne ihrer Schwester spielte.
    »Das kannst du in der Kammer meiner Frau tun. Sie ist schon seit ein paar Jahren tot, doch ich habe dort kaum etwas verändert. Außerdem ist es der wärmste Raum im ganzen Haus.«
    »Ich danke Euch.« Melisande griff nach der faltigen Hand des Alten.
    »Oh, dankt mir nicht, mein Beitrag an der Sache ist sehr gering. Ich fürchte, ich kann Euch nicht mal beim Tragen helfen, so alt und gebrechlich, wie ich bin.«
    »Das macht nichts«, entgegnete Melisande, während sie Alina vorsichtig an der Schulter rüttelte. »Ich bin stark genug und kann sie allein ins Bett bringen.«
    Nachdem sie Alina in die Schlafkammer gebracht hatte, setzte sie sich ans Fenster und flocht sich mit abwesender Miene einen Zopf. Noch immer war nichts von Bernhard oder Joß Fritz zu sehen. Hatten die Knechte der Hurenwirtin die beiden doch zusammengeschlagen? Oder mussten sie sich lediglich in der Stadt verstecken? Waren sie gar den Leuten des Bischofs begegnet?
    Trotz all dieser Fragen verspürte Melisande eine merkwürdige Erleichterung. Ich habe mein Versprechen gehalten – jedenfalls eines davon,
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