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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau
Autoren: Oliver Susami
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robbte mit der Taschenlampe zwischen den Zähnen durch den engen Tunnel, stieg hinaus in den Wald und kämpfte sich durch das dichte Gestrüpp. Er wusste jetzt, wo er hin musste.
     

16. Hase und Igel
     
    Sie ging nicht ran. Warum ging sie nicht ran? Lukas hatte sich dazu entschieden, Nadine doch noch einmal um Hilfe zu bitten. Hatte sie nicht vorhin ein klein wenig unschlüssig gewirkt? Vielleicht wenn er ihr erzählte, was er gefunden hatte. Vielleicht wenn er ihr erzählte, wohin der Tunnel führte … Aber sie ging einfach nicht ran. Versuchte sie gerade ihrem Mann zu erklären, wo sie die Nacht über gewesen war?
    Als Lukas aus dem Wald trat, da sah er vorne an der Straße, direkt vor dem Haus der Schneiders, einen Polizeiwagen. Sofort duckte er sich hinter den Wall, der Grundstück und Wald trennte. Er sah einen untersetzten Polizisten und neben dem Polizisten … wer zum Teufel war das? Lukas brauchte einige Sekunden, um ihn zu erkennen: Sein verdammter Nachbar, der Typ mit dem Brötchengesicht, der Kerl, der jetzt mit Frau und Pudel in seinem Elternhaus lebte. Hatte der die Polizei gerufen? Erzählte der dem Polizisten gerade, dass im Haus der Schneiders ein gemeingefährlicher Irrer haust, der mit einem Spaten durch die Gegend rennt?
    Lukas überlegte, ob er irgendwie unbemerkt zu seinem Auto kommen konnte, es stand etwa zehn Meter von dem Polizeiwagen entfernt. Ein anderer Polizist – jünger, dünner und größer als sein Kollege – stand vor Lukas' Golf und schien gerade zu lesen, was sie ihm in den Lack gekratzt hatten. Wenn dieser Polizist von seinem Auto wegginge, dann könnte er ja – so überlegte Lukas – einmal um das Haus herum und dann schnell zum Wagen laufen und … aber das war zu riskant. Und damit würde er sich erst recht verdächtig machen. Was für eine bescheuerte Idee, es auf eine Verfolgungsjagd mit der Polizei ankommen zu lassen. Lukas hatte sich zwar nichts vorzuwerfen, aber so wie er aussah, verdreckt und zerkratzt, würde er den Bullen einiges erklären müssen. Und dafür war verdammt nochmal keine Zeit! Nicht jetzt!
    Also nahm er den Fußweg, schlich gebückt am Waldrand entlang, bis er außer Sicht war. Dann richtete er sich auf und lief so schnell, wie es die verdammten Schmerzen in seinem Fuß zuließen. In seiner Jackentasche fand er eine zerdrückte Packung Taschentücher. Damit – und mit seiner Spucke – versuchte er, sein Gesicht von Blut und Dreck zu befreien. Im Laufen zündete er sich eine Zigarette an. Wollte ich nicht gerade noch aufhören? Egal … was soll's. Hoffentlich sieht mich niemand. Hoffentlich sieht mich niemand!
    Lukas hielt sich abseits der asphaltieren Wege, abseits der Straßen. Trotzdem begegnete er einem alten Mann, der ihm aus dem Weg ging und ihn entgeistert anstarrte. Und kurz darauf lief ihm eine alte Frau mit Hund über den Weg, die sich tatsächlich bekreuzigte, als sie ihn sah. Ihr überfütterter Hund kläffte ihn an und sie zog ihren Köter weg von dem blutigen Mann mit dem Spaten.
    Lukas lief einfach weiter, in der Rechten seine Waffe, in der Linken immer noch die Taschenlampe. Und dann – es waren weniger als zwei Kilometer – war er da, vor ihm lag das alte Fachwerkhaus, dessen Dach aussah, als wäre es seit seinem gestrigen Besuch noch etwas mehr eingesunken. Und irgendwo unter diesem Haus musste dieses Biest sein, dessen weiße Augen und dessen spitze Zähne er in diesem verdammten Tunnel gesehen hatte. Lukas hoffte mit jeder Faser seines geschundenen Fleisches, dass es eingeschlossen war, dass er diesem Ding den Fluchtweg versperrt hatte, dass der Erdhaufen, den er an der Holztür aufgetürmt hatte, wirklich groß genug war.
    Die Tür, die Lukas am Tag zuvor eingetreten hatte, war noch nicht repariert. Jemand hatte am Türrahmen eine Metallöse und an der Tür einen kleinen Haken angebracht, das war alles. Dazu ein wenig silbernes Isolierband über den Bruchstellen. Lukas hängte den Haken aus und drückte die Tür auf. Vielleicht war ja niemand zu Hause … oder zumindest nicht die arme Irre, die ihm gestern erst einen blasen wollte und dann in Embryonalstellung unter dem Küchentisch schlief.
    Lukas ging durch den dunklen, zugestellten Flur, er hörte einen Fernseher. Er kam an das Wohnzimmer mit den Malereien an den Wänden, dem großen Regenwurm und der metallgefüllten Vagina, und da war sie, die Frau mit dem zerstörten Gesicht. Sie saß mit dem Rücken zu Lukas und sie hatte ihn wohl nicht gehört … zumindest machte
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