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Die Knickerbocker Bande 32 - Kennwort Giftkralle

Die Knickerbocker Bande 32 - Kennwort Giftkralle

Titel: Die Knickerbocker Bande 32 - Kennwort Giftkralle
Autoren: Thomas Brezina
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schloß geblendet die Augen. Als sie nach dem ersten Schreck wieder einen Blick wagte, zuckte sie zusammen. Unter dem Pyramidendach war eine schneeweiße Gestalt aufgetaucht. Es war der Lehrer, der angeblich tote Lehrer. Wallende Stoffbahnen hingen von seinen Schultern, waren locker zwischen den Beinen wieder nach oben geschlungen und um seine Arme gewickelt. Über den Kopf war ein großes Tuch geworfen, dessen vier Zipfel auf Brust und Rücken fielen: das Gesicht des Toten war völlig verborgen.
    Mit tiefer Stimme begann die Erscheinung zu sprechen. Wie damals im Schlangentempel klangen die Sätze kurz, abgehackt und gebellt. Sie hob den rechten Arm, worauf einer der Männer aufstand und mit einer kleinen Schere begann, dem Tiger die Schnurrhaare abzuschneiden. Er sammelte sie zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand und zeigte sie der weißen Gestalt. Diese gab daraufhin weitere Anweisungen, und am Klang der Worte glaubte Poppi zu erkennen, daß der Vermummte nicht zufrieden war. Der Mann mit den Tigerbarthaaren verneigte sich immer wieder tief und schien sich zu entschuldigen.
    Abermals loderte das Feuer auf, noch höher als beim ersten Mal. Danach war die Stelle zwischen den vier Säulen des Turmes wieder leer. Die Männer erhoben sich, griffen nach den Fackeln, die sie in den sandigen Boden gesteckt hatten, und verließen den Palast.
    Poppi leckte sich immer wieder nervös über die Lippen.
    Was hatte das zu bedeuten? Wieso hatten sie dem Tiger die Barthaare gestutzt? Bei jedem lebendigen Tier wäre das eine Quälerei gewesen, denn Katzen - und zu dieser Tiergattung gehörte auch der Tiger - ertasteten mit diesen Haaren, ob eine Öffnung zum Durchschlüpfen groß genug war. Ohne Schnurrhaare konnten sie manchmal reichlich ungeschickt und unbeholfen sein.
    „Was soll ich jetzt machen?“ überlegte Poppi. „Wo waren die anderen? Wie konnte sie ihnen helfen?“
    Unten auf dem Platz knirschte es. Im Turm bewegte sich etwas, und eine Gestalt kroch heraus. Es war der „Geist“ des Lehrers, der sich nun aber ziemlich lebendig benahm. Poppi versuchte, mehr von ihm zu erkennen, doch das war nicht möglich. Die Dunkelheit war hereingebrochen, und der Mond, der in der nächsten Nacht voll sein würde, ging gerade erst auf. Der Geist bückte sich, und abermals knirschte es. Offensichtlich befand sich, wie im Schlangentempel, eine Art Geheimtür im Boden.
    Die weiße Erscheinung eilte zum Elefantentor und bückte den Fackeln nach. Danach überquerte sie den Platz und kam direkt auf das Gebäude zu, in dem sich Poppi befand. Dem Mädchen stockte das Blut in den Adern. Der Geist wollte zu ihr!
    Poppi sah sich nach einem Versteck um. Schon hörte sie die Schritte des „Toten“ am Treppenabsatz.
    Das jüngste Mitglied der Bande hastete auf Zehenspitzen quer über das flache Dach zu einer Figur, die halb Mensch, halb Elefant war und wie ein Baby auf dem Hinterteil hockte. Dominik hatte ihr in einem Buch ein Bild dieser Gestalt gezeigt. Es war Ganesh, eine indische Gottheit, die angeblich Glück brachte.
    „Jetzt zeig, was du kannst!“ hauchte Poppi und kauerte sich hinter die Statue. Sie hielt den Atem an und preßte sich gegen den Stein. Kam der Geist, um sie zu holen, dann würde er sie bestimmt finden. Vielleicht hatte er sie schon vorher entdeckt und nur gewartet, bis die Männer verschwunden waren, um sie zu beseitigen, wie er das auch mit ihren Kumpeln und Mister Morris getan hatte.
    Die weiße Gestalt war bereits auf dem Dach. Mit großen Schritten hastete sie zu der Dachkante, die dem See zugewandt war. Poppi wagte es nicht, sich vorzubeugen und einen Blick zu riskieren. Sie konnte auch an den Geräuschen erkennen, was der „Tote“ tat. Es klickte in bestimmten Abständen. Er gab Blinkzeichen!
    Als er damit fertig war, verschwand er wieder. Poppi kauerte so lange hinter der Ganesh-Figur, bis die Schritte des angeblich Verstorbenen die große Steintreppe, die vom Palast wegführte, hinuntereilten. Erst dann wagte sich das Mädchen aus seinem Versteck. Es tätschelte der Gottheit den Rüssel und keuchte: „Gut gemacht, danke!“
    Poppi war jetzt mutterseelenallein in der riesigen Anlage. Ihre Knickerbocker-Freunde und Mister Morris waren verschwunden, und sie hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, wohin. Es war aber auch unmöglich für sie, Hilfe zu holen. Die nächsten bewohnten Häuser waren drei Gehstunden entfernt.
    Das Mädchen knipste seine Taschenlampe an und begann zu pfeifen. Poppi mußte das
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