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Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Titel: Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Autoren: Werner Kraus Hans von Storch
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Vermittler heißt hier, nicht aktivistisch – offen oder versteckt – und auch nicht reinwissenschaftlich zu agieren, sondern bei offenen Frage- und Konfliktsituationen Wissen zur Verfügung zu stellen, wie welche Maßnahmen wirken und welche Optionen mach- und umsetzbar sind.
    Um dies effektiv machen zu können, bedarf es einer Kenntnis der Küstenpolitik und der politischen Ökologie dieser Landschaft. Es geht nicht nur darum, die Bevölkerung über den Klimawandel aufzuklären, sondern die Klimaforschung selbst muss über die Gegebenheiten vor Ort aufgeklärt werden, um angemessen Rat erteilen zu können. Erst so kommt die Klimaforschung in der Gesellschaft an und der anthropogene Klimawandel mit an den Verhandlungstisch, an dem der Naturschutz bereits seit geraumer Zeit sitzt.
    Der Klimawandel kommt in der Nachfolge des Naturschutzes in diese Region, und die Klimaforschung folgt auf die Ökosystemforschung. Beide Male spielt die Wissenschaft eine gewichtige Rolle. Doch weder verwissenschaftlichte „Natur“ noch „Klima“ allein sind gute Ratgeber für eine umsetzbare Umwelt- und Klimapolitik. Eine solche entsteht erst, wenn Natur und Klima ausbuchstabiert und identifiziert werden als Konflikte um ganz konkrete Dinge, die in politischen Versammlungen diskutiert und verhandelt werden können. Solche Versammlungen sind formelle wie der Landtag, die Kreisversammlung, der Gemeinderat, die Nationalparkverwaltung oder der Küsten- und Deichschutz oder informelle wie diejenigen der Fischer, der Jäger, der Naturschützer oder der Windbauern. Jedes Thema und jeder Konflikt bringen ihre eigenen Versammlungen hervor, bringen neue Teilnehmer an den Verhandlungstisch oder machen andere überflüssig. Die Gründung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist hierfür exemplarisch und dient als Lehrstück und auch als Warnung an die Klimaforschung, beim Klimaschutz nicht die Fehler des Naturschutzes zu wiederholen. Mit dem Naturschutz trat ein neuer Akteur an der Küste auf, der die Küstengesellschaft gehörig in Aufruhr versetzte.
    Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts protestierte die sich damals formierende Umweltbewegung gegen die Verschmutzung der Nordsee, die unter anderem als Müllkippe für die Dünnsäureverklappung benutzt wurde. Der Staat reagierte auf den Aufstieg der Umweltbewegung zu einer wichtigen politischen Kraft und schuf 1986 den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Die Legitimation lieferte ein großes Ökosystemforschungsprojekt, das die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit des Ökosystems Wattenmeer unter Beweis stellen sollte.
    (5) Spuren historischen Torfabbaus im Wattenmeer
    Unmittelbar nach Gründung des Nationalparks kam es zu heftigen Protesten unter der Küstenbevölkerung, die weit über ein Jahrzehnt andauerten. 92 Ein gewichtiges Argument dabei war, dass das Wattenmeer gar keine Natur-, sonderneine Kulturlandschaft sei. Schließlich sei das Wattenmeer Resultat einer jahrhundertelangen Auseinandersetzung zwischen Mensch und Meer, und überall im Wattenmeer finden sich Spuren früherer menschlicher Aktivität (siehe Abbildung 5). Gleichzeitig bedeutete der Nationalpark auch das endgültige Ende der Landgewinnung, einem bis dahin festen Bestandteil der Küstenmentalität. Zusätzlich befürchteten die Bewohner nun eine Aufweichung des Küstenschutzes, der anderen Säule ihrer Identität. Das Leben hinter den Deichen hängt davon ab, dass das Meer vom Land ferngehalten wird und diese auch den schweren Sturmfluten widerstehen. Auch wenn der Küstenschutz heute dem Staat untersteht, so bilden Deichgraf, Deichbegehung und die Sorge um die Deichsicherheit einen festen Bezugspunkt in der lokalen Küstenpolitik.
    Lange Zeit stand die wissenschaftliche Ökosystemforschung im Zentrum der Auseinandersetzungen. Sie lieferte dem Naturschutz die Legitimation für die Maßnahme, einen Nationalpark einzurichten: durch den naturwissenschaftlichen Nachweis der Einzigartigkeit und der daraus sich ableitenden Notwendigkeit des Schutzes dieses Ökosystems. Damit erhielten auch die Einschränkungen der lokalen Bevölkerung und ihrer Lebens- und Wirtschaftsweise eine wissenschaftliche Legitimation; eine Vorgehensweise, die im Umwelt- und Naturschutz eine lange Tradition hat. 93 Doch dieses Argument griff nicht: Die Küstenbevölkerung erinnerte die Forschung wütend und mit Nachdruck daran, dass auch der Mensch im Ökosystem Wattenmeer eine Rolle spielt
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