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Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Titel: Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Autoren: Werner Kraus Hans von Storch
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solchen Wandels an der Küste sich entfalten, welche neuen Akteure dadurch ins Spiel kommen, welche anderen herausfallen. Erst unter diesen Bedingungen macht es Sinn zu überlegen, welche Rolle dabei der Klimaforschung zukommen kann.
    Wenn nun neue Herausforderungen auftauchen, um mit Küstenschutz, Meeresspiegelanstieg und Wattenmeer im Zeichen des Klimawandels umzugehen, dann sitzt man wieder zusammen, studiert die neuesten Entwicklungen beim IPCC, der Umwelt- und Klimapolitik der EU oder in Berlin, misst den Meeresspiegelanstieg und die Höhe der Sturmfluten und verhandelt: der Landrat, die Kieler Ministerialbürokratie, die regionalen Ämter, die Naturschutzverbände, die Gemeinden und Inseln, und auch die Vertreter der Wissenschaft.
Klimawandel als Bedrohung
    Wenn wir uns Nordfriesland ansehen, also jene Landschaft mit Wattenmeer und seinen Inseln, Marschen, Gezeiten und Dünen an der Westküste Schleswig-Holsteins, dann sehen wir Zeichen von Gestaltung der Natur und von der verheerenden Wirkung von Naturgewalten. Untergegangene Landschaften und Köge aus der Zeit, als Landgewinnung noch gewollt war; Alleebäume, die sich nach Osten neigen, massive Deiche, Fluttore, Nolde-Bilder, Gehöfte auf Warften und Spuren des Torfabbaus im Watt.
    „Gott hat das Meer geschaffen, aber der Friese die Küste“: Auch diese alte Küstenweisheit war eine Protestparole im Kampf gegen den Nationalpark. Nordfriesland sieht aus wie unberührte Natur, aber es ist geschaffene Umwelt, unter Berücksichtigung von Naturgewalten, vor allem von Stürmen und deren Kindern, Sturmflut und Seegang. Sorgen über Meeresspiegelanstieg und stärkere Stürme haben hier einen Resonanzboden; die Erinnerung an schlimme Sturmfluten ist präsent, als Mahnung an die Gefahren, aber auch als gegenseitige Versicherung, dass diese eine Herausforderung sind, der man sich zu stellen hat. Wer „nich dieken will, mut wieken“. Bis weit ins Inland kann man die alten Deiche früherer Landgewinnung stehen sehen. Diese Küstengesellschaft ist eine Deichgesellschaft, welche historisch im Zentrum der sozialen Organisation steht. Es ist durchaus bemerkenswert, dass früher der Begriff „Landschaft“ hier an der Küste denjenigen Ort bezeichnete, an dem sich die politische Versammlung traf, um über gewichtige Angelegenheiten wie Besitzfragen und eben Deichsicherheit zu beraten. 95 Eine Küstenlandschaft ist nicht einfach „da draußen“ oder ein „Bild in den Köpfen“, sondern eine Praxis, eine Aktivität und eine Versammlung. Hört man auf die (ebenfalls norddeutsche) Klimaforschung, dann ist der Klimawandel ein Thema, das sich nun ebenfalls mit Nachdruck in diese Versammlung drängt.
    Das Norddeutsche Klimabüro (siehe unten) hält bis 2030 einen Anstieg der Sturmfluthöhen aufgrund erhöhter Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre von 1 bis 3 Dezimetern für plausibel und möglich; für das Ende des 21. Jahrhunderts ist von 3 bis 11 Dezimetern die Rede. Danach, also im 22. Jahrhundert, wird der Meeresspiegel weiter ansteigen, weil die Wirkung der globalen Erwärmung auf Ozean und Eiskappen bis zum Jahr 2100 noch nicht voll entfaltet sein wird. Diese Erwartungen sind Beschreibungen möglicher, plausibler Zukünfte und keine Voraussage im Sinne einer wahrscheinlichsten Entwicklung, also: Szenarien.
    So erscheint in der Interpretation des Klimabüros der menschengemachte Klimawandel als eine Frage der Anpassung. Bis 2030 sind demnach konkrete Baumaßnahmen über den „normalen“ Erhalt und Modernisierung nicht nötig, können danach aber durchaus erforderlich werden. Daher ist es sinnvoll, heute schon Ausbaureserven zu schaffen und unter den gesellschaftlichen Akteuren einen Diskussionsprozess zu initiieren, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Anpassungsmaßnahmen – gegebenenfalls jenseits der traditionellen Strategie der linienhaften Deichverteidigung – möglich und akzeptabel sein könnten.
    Der Meeresspiegel steigt auch unabhängig vom menschengemachten Klimawandel längs der deutschen Nordseeküste an, vermutlich als Folge der „Erholung“ von der „kleinen Eiszeit“. Derzeit beträgt dieser Anstieg etwa 2 mm/Jahr, eine ungewöhnliche Beschleunigung in den letzten Jahrzehnten kann bislang jedenfalls nicht festgestellt werden. Ob sich der menschengemachte Klimawandel schon jetzt im Meeresspiegelanstieg manifestiert, ist also durchaus fraglich. Für die Öffentlichkeit ist es natürlich schwierig, zwischen der Vorstellung einer
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