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Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung

Titel: Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Autoren: Werner Kraus Hans von Storch
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„der guten Sache“ autoritäre Gesten ein.
    Heute haben die meisten Institute eigene Presseabteilungen. Sie geben oft genug Pressemitteilungen an die Nachrichtenagenturen heraus, in denen sich auf professionelle Weise Werbung für das eigene Institut, Vermittlung von Forschungsresultaten und Anpassung an den Zeitgeist vermischen. Das steht für das Dilemma, das die Klimaforschung von Anfang an begleitet: Sie präsentiert wichtige, interessante, manchmal erschreckende, manchmal beruhigende Nachrichten. Sie sind selten komplett falsch oder stark übertrieben. Was dabei unter den Tisch fällt, ist die Unsicherheitals Grundmelodie, die Unsicherheit bezüglich den Interpretationen der Forschung, die dieser immer innewohnt und besagt: Die Daten und Zeichen könnten auch anders interpretiert werden.
    Uns geht es um die Anerkennung dieses Dilemmas, nicht um die Frage nach Schuldigen. Der Weg in die Klimafalle führt direkt über diese Verwechslung.
In der Gesellschaft
    Im letzten Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts war die Klimakatastrophe endgültig in der Gesellschaft angekommen – bestaunt, interessiert begleitet, gefürchtet. Bis dahin war der Klimawandel fast ausschließlich Gegenstand der Naturwissenschaften gewesen. Nun meldeten sich auch die Sozial- und Kulturwissenschaften zu Wort, wenn auch nur zögerlich. Gemeinsam mit den Medien- und Kommunikationswissenschaften wurden sie teils um Hilfe gebeten, teils interessierten sich ihre Vertreter aus eigenem Forschungsinteresse für den Klimafall; sie standen aber oft ebenfalls im Bann des Zeitgeistes und hinterfragten die Ergebnisse ihrer Kollegen aus den Naturwissenschaften kaum. Forschungen aus den Disziplinen, die Geschichte und Praxis der Wissenschaften zum Thema hatten, wurden zumeist ignoriert. Die gegenseitige Abgrenzung und jeweilige Diskreditierung der Sozial- und Kulturwissenschaften auf der einen und der Naturwissenschaften auf der anderen Seite haben eine lange Tradition, auf die wir später noch eingehen werden (Kapitel 7).
    Eine Ausnahme stellte Nico Stehr dar, ein Professor für theoretische Soziologie, der eine Einladung zu einem mehrmonatigen Studienaufenthalt im Max-PIanck-Institut im Jahr 1992 annahm und dort unter den Naturwissenschaftlern lebte. Sein Gastvortrag, den er in diesem Rahmen hielt, war beeindruckend. Er kam, holte sein Manuskript heraus, legte insgesamt ein nettes Bild vom Typ „Wandschmuck“ auf deneigens bestellten Overhead-Projektor, setzte sich hin und las vor. Das Publikum war schockiert. Als gute Naturwissenschaftler hörten viele nicht wirklich zu, sondern warteten auf die Folien, die alles erklärten – die aber nicht kamen. Nico Stehr trug einfach, in guter alter geisteswissenschaftlicher Tradition, seinen Vortrag vor. Ein formidabler Kulturschock für die damals noch Folien- (und heute PowerPoint-) gewöhnten Naturwissenschaftler.
    Der Vortrag war nicht nur in dieser Hinsicht eine Provokation. Nico Stehr zeigte auf, dass das Klima selbst eine menschliche Geschichte und dass unsere heutige Klimaangst historische Vorläufer hat. Dasselbe gilt für die Maßnahmen, die gegen die Angst ergriffen werden: Im heutigen aufgeklärten Deutschland belächeln wir Gebete als Schutzmaßnahme oder die Erklärung, dass Unwetter eine Bestrafungspolitik Gottes seien; gleichzeitig wissen wir, dass diese Praktiken und Argumentationen wie eh und je verbreitet sind und oft neben den wissenschaftlichen Erklärungen weiter bestehen. Doch auch bei vermeintlich Aufgeklärten gibt es einen breiten Konsens darüber, dass der Klimawandel gerechte Folge unseres ausufernden und energieintensiven Lebensstils ist. Und worin unterscheidet sich die Entscheidung, mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, von einer Bittprozession? Fragen, die wir auch heute kaum beantworten können. Nico Stehr erinnerte daran, dass man sich vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft auch über unsere heutigen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Versuche, dem Klimawandel zu begegnen, lustig machen könnte.
    Eine große Wirkung hatte die Präsenz von Nico Stehr in der Höhle der naturwissenschaftlichen Löwen damals nicht, die Runde merkte nicht weiter auf, aber ein Anfang war gemacht: Die Idee, dass die naturwissenschaftliche Konstruktion des Klimas nur eine unter anderen Deutungsprozessen ist, war ausgesprochen.
    Vor allem aber öffnete Nico Stehr den Geistes- und Sozialwissenschaften vorsichtig die Tür zum Klimathema. Heutesind sie weit mehr integriert
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