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Die kleinen Freuden des Lebens

Die kleinen Freuden des Lebens

Titel: Die kleinen Freuden des Lebens
Autoren: Stefan Maiwald
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Elefanten schlafen legt!«
    Aber sehen wir die Sache mal männlich. Zahnarztbehandlungen sind schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich. Und deswegen gibt
     es immer ein Danach. Will sagen: Man verlässt den Zahnarzt nie auf einer Bahre mit den Füßen voran, sondern aus eigener Kraft.
     Und dieser beschwingte Gang die Treppe hinunter, zwei Stufen auf einmal, mit noch betäubtem Mund und Speichelfaden am Kinn,
     alles Schlimme hinter sich und ein mitfühlendes Gesicht der Gattin vor sich – dieses Gefühl ist so großartig, dass es fast
     schon einen eitrigen Zahn rechtfertigt.

An einem verregneten Februarabend, den man längst abgeschrieben hat, auf einem obskuren Kanal seinen Lieblingsfilm entdecken
    D as ist selbst mit Premiere-Abo nicht immer leicht, und das will was heißen, denn ich bin ja schon mit Bud Spencer und Terence
     Hill zufrieden.

In einer großen Gruppe irgendwo einfallen
    M eine Eltern waren unglaublich sorglos in meiner Erziehung. Ich bringe die gleiche Sorglosigkeit bei meinen Töchtern jedenfalls
     nicht auf, aber vielleicht ist es bei Söhnen was anderes. Jedenfalls durfte ich schon als Zehnjähriger allein in Fußballstadien,
     wirklich ganz allein, ohne Freunde oder gar den fußballvernarrten Onkel, den es nämlich nicht gab, zumindest nicht in der
     Nähe. Und wir reden hier von richtigen, fiesen Stadien, die noch aus der Nachkriegszeit stammen, nicht von modernen Erlebniswelten
     für die ganze Familie mit Shoppingcenter und VI P-Lounges . Früher wurde ein Stadion gebaut, indem rund um den Rasen Waschbeton aufgeschichtet wurde. Heute haben Panikforscher mit
     ihren Computersimulationen das erste und das letzte Wort. Gewalt kann praktisch nicht mehr entstehen.
    Aber damals, 1982: Wellen von Prügeleien liefen durch die Kurve. Bei jedem Tor wurde man mehrere Stufen nach unten geschubst
     und schaffte es, wenn überhaupt, erst mehrere Minuten später wieder auf seinen Platz. Besoffene fielen einfach um, Flaschen
     flogen über meinenKopf auf die Linienrichter; glücklicherweise gab es im Stadion eine Laufbahn, auf der so manche dunkelgrüne Jägermeister-Flasche
     zerschellte. Jägermeister: damals noch das Getränk der Uncoolen und Asozialen, aber immerhin eng mit meiner Eintracht aus
     Braunschweig verknüpft. Mehr als einmal wurde ich von Wellen der Entrüstung und Euphorie so gegen die Gitter gepresst, dass
     mir die Luft wegblieb. Berittene Polizei begleitete uns bis zur Straßenbahn. Praktisch jedes Mal kam ich nass von Bier heim,
     das um mich herum beim Torjubel ausgeschüttet worden war. Ja, damals schoss die Eintracht noch Tore, eine Kunst, die, während
     ich diese Zeilen schreibe, im Stadion an der Hamburger Straße nahezu ausgestorben ist.
    Damals fand ich wohl das, was links und rechts neben mir passierte, mindestens so faszinierend wie das Geschehen auf dem Rasen:
     In der Südkurve brüllten Horden von riesigen, bösen, äußerst gewaltbereiten Kerlen im Chor unfassbare Beleidigungen auf die
     Gegenmannschaft, den gegnerischen Trainer und natürlich die gegnerischen Fans herab. Rassistische Beschimpfungen gab es damals
     interessanterweise nie, wohl aber nie enden wollende Gesänge, die die Homosexualität und die Sodomie ausführlich thematisierten.
     Natürlich sollte man sich Gruppenzwängen nicht unbedingt unterwerfen, man weiß ja, wohin so etwas führen kann, aber das war
     von einem Zehnjährigen wohl etwas viel verlangt. Zwar hielt ich mich zurück, weil mir manche der Vokabeln völlig fremd waren,
     aber als der Schiedsrichter zum dritten Mal einen klaren Elfer für uns nicht pfiff, wusste auch ich plötzlich sehr genau,
     wo sein Auto geparkt war, was erunter seinem schwarzen Trikot trug und dass er sexuelle Beziehungen zu seinen engsten Familienangehörigen unterhielt, und
     ich posaunte es mit meiner noch sehr hohen Stimme in die Welt hinaus. (Wahrscheinlich verstand mich in dem Getöse nicht mal
     mein unmittelbarer Nachbar.)
    Viele Deutsche haben wohl das erste Mal bei der erstaunlichen Fußballweltmeisterschaft 2006 erlebt, wie es ist, in einer großen
     Gruppe völlig selbstvergessen eine Mannschaft anzufeuern, sich so gründlich mit ihr zu identifizieren, dass jede Ratio in
     der Sommerhitze verdampft. Dabei ist eine Nationalmannschaft ein zu artifizielles Gebilde, um allzu viele Emotionen heraufzubeschwören.
     Schon klar, auch Vereinsmannschaften bestehen heute nicht mehr aus den Nachbarskindern von einst, aber Nationalmannschaften
     sind eine
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