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Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Titel: Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Autoren: Michael Tsokos
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Einsatz kamen – und damit auf die »Handschrift« des Täters, die häufig auch seine Identität verrät.
    »Das hier ist fast eine Premiere«, sage ich zu Wittig, während sich die ersten Bilder von Feldgärtners Kopf auf dem Monitor aufbauen.
    Tatsächlich haben wir den Computertomographen erst kurz zuvor für die Berliner Rechtsmedizin angeschafft. Leon Feldgärtner ist einer der ersten Toten, die wir mit Hilfe dieser innovativen Technologie untersuchen.

    Die postmortale Mehrschichten-Computertomographie (pmMSCT) bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber der traditionellen Obduktionstechnik. Die dabei eingesetzte Röntgenstrahlung ist erheblich stärker als bei der CT-Untersuchung lebender Menschen – die Strahlung kann den Toten schließlich nicht mehr schaden. Das machen wir uns in der Rechtsmedizin zunutze, denn so sind sehr feine Bildauflösungen von lediglich einem halben Millimeter Schichtdicke möglich. Die pmMSCT liefert submillimetergenaue Befunde, die unabhängig vom jeweiligen Untersucher erhoben und dreidimensional, exakt und dauerhaft dokumentiert werden können. Wenn längere Zeit nach einer Tat – zum Beispiel durch ein Geständnis – neue Tatsachen oder mögliche Tatabläufe bekannt werden, kann man diese mit den Befunden vergleichen, die unter Umständen Jahrzehnte vorher mittels pmMSCT am Leichnam erhoben und als elektronischer Datensatz abgespeichert worden sind.
    Gerade bei prominenten Toten kommen oftmals noch viele Jahre nach ihrem Ableben Spekulationen auf, ob sie wirklich durch Suizid oder nicht vielleicht doch durch Mord umgekommen sind. Im Fall Uwe Barschel beispielsweise, dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, wurden die Umstände, unter denen er 1987 in einem Genfer Hotel ums Leben kam, niemals wirklich geklärt. Bis heute wird in den Medien auch immer wieder gerätselt, was genau sich 1994 in Kurt Cobains Haus in Seattle abgespielt hat. Dort wurde der Nirvana -Frontmann mit einer Überdosis Heroin und einer Kopfschussverletzung tot aufgefunden. In beiden Fällen könnten neu auftauchende Verdachtsmomente oder Mordtheorien sofort überprüft werden, wenn elektronische pmMSCT-Datensätze der Leichname existierten. Doch zum Todeszeitpunkt von Barschel, Cobain und vielen anderen Prominenten, die unter mysteriösen Umständen ihr Leben verloren haben, verfügte die Rechtsmedizin noch nicht über diese technischen Möglichkeiten.
    Israelische Rechtsmediziner haben die pmMSCT bereits Ende der 1960er Jahre angewendet. Da sie die Kampfpiloten, die während des Sechstagekriegs abgeschossen wurden, aus religiösen Gründen nicht obduzieren wollten, kamen sie auf die Idee, die toten Soldaten stattdessen in einem Computertomographen zu untersuchen, um so Aufschluss über ihre Verletzungen und die letztliche Todesursache zu erhalten. Doch erst in den 1990er Jahren entdeckte die europäische Rechtsmedizin die immensen Vorteile der pmMSCT.
    Eine interdisziplinäre Forschergruppe in Bern, bestehend aus Rechtsmedizinern und Radiologen, entwickelte schließlich die Grundlagen für eine praktische Anwendung computertomographischer Verfahren in der Rechtsmedizin. Noch steht die pmMSCT am Anfang ihrer Möglichkeiten in der Rechtsmedizin – bisher verfügen erst fünf der etwa dreißig rechtsmedizinischen Institute in Deutschland über einen eigenen Computertomographen. Aber schon jetzt kann man die Einführung dieser Technik als echte Revolution im Sektionssaal bezeichnen, vergleichbar mit der Einführung des genetischen Fingerabdrucks, der in den 1980er Jahren Kriminalistik und Rechtsmedizin revolutionierte.

    Für unser Institut haben wir ein solches Gerät nicht zuletzt deshalb angeschafft, weil es sowohl die Aufklärung von Tötungsdelikten als auch die Identifizierung stark traumatisierter oder hochgradig fäulnisveränderter Verstorbener erheblich erleichtert. »Seit kurzem«, erkläre ich Hauptkommissar Wittig, »scannen wir alle kindlichen Todesfälle, alle Schusstodesfälle, alle Stürze aus großer Höhe, sämtliche tödlichen Verkehrsunfälle und überhaupt jeden gewaltsamen Todesfall vor der Obduktion mit unserem Computertomographen. Bevor wir den ersten Schnitt mit dem Messer setzen, wissen wir schon, welche Knochenbrüche uns wo genau erwarten. Wir können mit diesem Gerät auch Projektile millimetergenau lokalisieren, ohne lange nach ihnen zu suchen, wie es bisher meist der Fall war. Auch abgebrochene Messerspitzen im Körper bedeuten keine Verletzungsgefahr
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