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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
Autoren: James Barclay
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erklärte Gorian.
    Hinter ihnen ertönten Kichern und Prusten. Gorian sah sich um.
    »Still, Ossacer. Sonst bist du der Nächste.«
    »Wenn ich das nicht kann, kann er es auch nicht«, prahlte Gorian.
    Hesther zog die Augenbrauen hoch. »Vielleicht doch. Er ist ein Schmerzfinder, und wenn er spüren kann, wo es den Menschen wehtut, dann kann er vielleicht auch herausfinden, was den Bäumen fehlt.«
    »Das kann er nicht«, meinte Gorian geringschätzig.
    Hesther runzelte die Stirn. »Konzentriere dich. Fühle, was unter der Rinde ist. So, wie du es bei einem verletzten Hund tun würdest, wenn du wissen willst, wie der Arzt ihm helfen kann.«
    Gorian schwieg einen Moment. Seine kleinen Hände, weiß vor Kälte, betasteten die Rinde. Wie er es gelernt hatte, kniff er die Augen fest zusammen, um sich besser zu konzentrieren. Sie lächelte, erwärmt von der Liebe zum Kind ihrer Schwester. Wie bei den anderen waren auch seine Anlagen sehr viel versprechend. Obwohl noch jung, verstanden sie schon sehr viel. Man konnte sofort sehen, dass sie etwas Besonderes waren. Ob es sich halten würde, musste die Zeit zeigen.
    Nach einer Weile drehte Gorian sich zu ihr um und nahm die Hände von der Rinde. »Er muss tot sein. Ich kann drinnen nichts fühlen.«
    Hesther küsste ihn auf den Kopf und gab ihm die Handschuhe zurück. »Macht nichts, mein Liebling. Er ist nicht tot, nur krank.«
    »Er ist tot«, beharrte Gorian.
    Hesther streichelte seine Wange, drehte seinen Kopf zu sich herum und kniete vor ihm nieder. »Du hast dich bemüht, und mehr kann man nicht von dir verlangen. Ich bin sicher, dass du beim nächsten Mal das Gleiche spüren wirst wie ich.« Er starrte sie wütend an. »Sei nicht zornig, es ist gut. Du hast nichts falsch gemacht.«
    Sie stand auf und betrachtete die anderen Aufgestiegenen. Immer noch spürte sie Gorians Zorn, und das gab den Ausschlag. »Also gut, hier oben ist es zu kalt. Steigt wieder auf den Wagen, wir kommen gleich zu euch. Nun geh schon, Gorian. Gib dem Maultier einen Apfel aus dem Sack, ja?«
    Strahlend trottete er zum Wagen. Die anderen folgten ihm sofort. Zweifellos würden sie darüber streiten, wer das Tier füttern durfte und wer sich als Erster unter die Decken kuscheln durfte, um es warm zu haben.
    »Also«, sagte sie, und legte noch einmal die frierenden Hände auf den Stamm, um ihre Diagnose zu überprüfen.
    Es war nicht schön, eine kranke Pflanze oder einen Baum zu berühren. Übelkeit erfasste ihren ganzen Körper, aber sie hatte im Laufe der Jahre gelernt, das zu ertragen. Ein gesunder Baum schenkte ihr Lebenskraft, doch dieser hier war stumpf, und seine getrübte Energie war erschreckend. Die oberen Zweige waren noch einigermaßen gesund, aber er war innerlich vergiftet. So etwas hatte sie schon ein- oder zweimal gesehen. Sie zog die Hände zurück und schob sie dankbar wieder in die Handschuhe. Lucius sah sie fragend an.
    »Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. Dieser hier ist jedenfalls schon sehr geschwächt. In diesem Bereich ist der Boden zu sauer. Das musst du ausgleichen. Tu es noch heute.«
    »Bist du sicher? Ist es kein Pilzbefall?« Er deutete auf den Stamm, wo innerhalb der Kiste einige zähe Pilze gewachsen waren.
    »Deshalb hast du mich doch geholt. Es ist die Säure, es liegt nicht an den Pilzen. Vertrau mir.«
    »Du weißt doch, dass ich dir vertraue.«
    »Du kannst sie retten«, sagte sie. »Und selbst wenn nicht, musst du die Säure im Boden ausgleichen, bevor die Krankheit um sich greift.«
    Lucius wollte antworten, aber eine laute, zornige Kinderstimme unterbrach ihn. Hesther zog die Augenbrauen hoch.
    »Komm schon«, sagte sie. »Wir sollten zurückkehren, bevor uns die Kinder erfrieren.«
    Hesther wandte sich zum Wagen. Alle Aufgestiegenen hatten sich vor dem Maultier versammelt. Das Tier blickte traurig in die Runde, während sie stritten. Es ging jedoch nicht um den Apfel. Sie hörte Vorwürfe und Spott. Ohne Vorwarnung schlug Gorian mit bloßer Hand zu, das Klatschen klang in der kalten Luft wie ein Peitschenknall. Ossacer ging kreischend zu Boden.
    »Gorian!«, brüllte sie. »Komm sofort her.«
    »Aber …«
    »Auf der Stelle!«
    Widerstrebend schlurfte er herüber, und sie beschleunigte ihre Schritte, um ihn abzufangen. Sie fasste die Hand, mit der er zugeschlagen hatte.
    »Er hat gesagt, ich könnte es niemals schaffen«, sagte Gorian, fast außer sich vor kindlicher Wut.
    »Was schaffst du nie?«
    »Den Baum zu fühlen.«
    »Und was hast du vorher zu
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