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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich
Autoren: James Barclay
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einen Seitenhieb gegen unsere geschätzte Ordenskanzlerin?«
    »Du solltest sie wirklich nicht ständig verärgern, Arvan«, sagte Herine, obwohl auch ihr durchaus danach zumute war.
    Vasselis seufzte. »Meine Advokatin, bei allem Respekt gegenüber deiner Position als Oberhaupt des Ordens der Allwissenheit, Kanzlerin Koroyan ist eine Nervensäge. Zweifellos auch für dich. Ihr Wunsch nach einer Macht, die nicht den Gesetzen des Staates unterworfen ist, bereitet mir Sorgen. Zudem wissen wir alle, wozu ihre geliebten Gottesritter fähig sind, sobald wir ihnen den Rücken kehren.«
    »Du meine Güte«, sagte Jhered. »Wie ich hörte, sorgt sie sich schon wieder um gewisse Teile von Caraduk. Welche Ketzerei verbirgst du denn nun eigentlich vor ihr?«
    »Ich wünschte, das wüsste ich selbst«, erwiderte Vasselis, dem die Ironie in Jhereds Frage entgangen war. »Ihre Leser und Sprecher suchen mich heim wie das Nesselfieber. Sie stellen Fragen über die alte Geschichte, während sie sich doch eigentlich um die vielen Bürger kümmern sollten, die ihrer Zuwendung bedürfen. Ihr unablässiges Misstrauen behagt mir nicht.«
    »Oh Arvan, nun sei nicht so ein Dickkopf. Gerade du hast sie doch oft genug in helle Aufregung versetzt.« Herine schaute lächelnd zu ihm auf, und auch seine Miene entspannte sich ein wenig. »Da du nichts zu verbergen hast und ich unerschütterlich zu dir stehe, solltest du uns wirklich nicht das Vergnügen rauben, indem du mich zwingst, sie davon abzuhalten. Sie bekommt so eine wundervolle Farbe, wenn sie sich in aller Öffentlichkeit zur Närrin gemacht hat.«
    Die Wachen der Advokatur auf der Treppe vor der Primatkammer nahmen Haltung an. Die drei stiegen die weitläufige Marmortreppe zu dem mit Säulen geschmückten Eingang hinauf und wanderten durch die Vorhalle, in der Büsten aller Advokaten seit dem Ersten Zyklus Gottes und der Einrichtung der Estoreanischen Konkordanz standen.
    Es war eine hell erleuchtete Halle, zu beiden Seiten mit riesigen Bogenfenstern versehen und von großen Feuern in sechs Kaminen erwärmt. Dennoch fand Herine den Anblick eher deprimierend denn prachtvoll.
    »Lasst mich nur nicht ebenso enden«, murmelte sie.
    Adjutanten umschwärmten sie, nahmen ihnen die Mäntel, die Pelze, die Handschuhe und Hüte ab und strichen ihre Togen glatt. Dann setzten sie sich, zogen angemessene Sandalen an und ließen sich das Haar richten, während andere Diener die Spiegel hielten.
    »Soll ich vor dir eintreten?«, fragte Vasselis.
    Herine zuckte mit den Achseln. »Eigentlich spielt das keine große Rolle. Die Versammlung wird weiterhin glauben, ich bevorzugte Caraduk, was auch immer wir tun. Komm schon. Wir müssen nicht singen und tanzen, rede einfach weiter mit mir.«
    Vor ihnen ragten die geschlossenen Türen der Primatkammer auf. Das mehr als vierzig Fuß hohe Portal reichte bis zur gewölbten Decke, die weiß lackierten Paneele trugen das geschnitzte Wappen der Estoreanischen Konkordanz. Als die Würdenträger sich näherten, wurden für sie die Türflügel geöffnet, und sie konnten in den dahinter liegenden Saal blicken. Nach dem Vorbild des Senatsgebäudes in Estorr zogen sich auch hier vier Marmorbänke übereinander durch die gesamte Halle, in deren Mitte ein langer Läufer bis zum Sitz der Advokatin führte. Dahinter blieb Platz für sechs ihrer wichtigsten Berater, die ihr jede noch so kleinste Information zukommen lassen konnten, die sie brauchte, und die jedes gesprochene Wort aufzeichneten. Dank des unterhalb angelegten Hypokaustums war es im Saal angenehm warm. Die hell gestrichenen Wände und die Reihen der Delegierten in ihren weißen und grünen Togen erweckten den Eindruck, dies wäre ein schöner Nachmittag im Solastro.
    Mehr als dreihundert Abgeordnete erwarteten die Ankunft der Advokatin. Die Marschallverteidiger aller Territorien waren zugegen, begleitet von ihren Ädilen und Proprätoren. Näher am Sitz der Advokatin hatte Felice Koroyan, die Kanzlerin des Ordens der Allwissenheit, auf der linken Seite mit ihren engsten Vertrauten, den vier Hohen Sprechern, Platz genommen. Rechts waren die Prätoren und Konsuln nach ihrem Alter angeordnet. Jhereds aus zwölf Mitgliedern bestehender Rat der Einnehmer blieb die unterste Bank darunter vorbehalten.
    Alle Gesichter drehten sich zu ihr um. Herine Del Aglios schritt erhobenen Hauptes über den grünen Teppich und grüßte links und rechts nickend die Anwesenden. Einmal im Jahr versammelten sich die Oberhäupter aller
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