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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter
Autoren: Peter Hoeg
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kennen, Tilte, Basker und ich, wissen wir, dass er auch was von einem erwachsenen Baby hat.
    Es stimmt schon, die Finø AllStars haben wahrscheinlich nie einen gefährlicheren General im strategischen Mittelfeld gehabt. Aber außerhalb des Spielfelds, wenn Hans keinen Ball mehr hat, dem er nachschauen kann, hängt stets sein Blick am Himmel, na, und solche Leute fallen halt gern über einen Hund oder stürzen gar in den Fluss.
    Jetzt studiert er in Kopenhagen Astrophysik, was ja auch etwas mit Himmel und Sternen zu tun hat, und er hat einen Studentenjob als Droschkenkutscher gekriegt, und nunsind Tilte, Basker und ich zu Ostern auf Besuch gekommen, während in der Kirche in Finø ein Vertreter predigt. Vater und Mutter sind nämlich auf ihrer jährlichen Tour nach La Gomera, das unter den Kanarischen Inseln so eine Art Möchtegern-Finø ist.
    Ich weiß nicht, ob du den Blågårds Plads kennst. Ich persönlich bin zum ersten Mal hier, und anfangs wirkt der Platz ganz gewöhnlich. In der Sonne ist es warm und im Schatten kalt, es gibt ein paar Schneewehen und eine Kirche mit einer Menge Menschen davor, und als Pfarrerskind ist man immer froh, wenn der Laden voll ist. Auf einer Bank sitzen drei Männer im besten Alter, das sie dazu nutzen, um Starkbier zu trinken. Hinter unserer Kutsche befindet sich ein Gemüsegeschäft, davor steht der Gemüsehändler und starrt in eine Kiste mit Zitronen, denen er das Überwintern ermöglichte, indem er sie in die fünf täglichen Gebete Richtung Mekka einschloss, und vor uns geht eine alte Dame über die Straße mit einer Palette Katzennahrung auf ihrem Rollator. Das einzig Ungewöhnliche ist also die Frage, warum ein Tourist, der via Internet fünftausend Kronen im Voraus zu zahlen bereit war, um sich eineinviertel Stunden lang durch die Innenstadt kutschieren zu lassen, sich den Blågårds Plads als Start ausgesucht hat, und wo steckt er überhaupt, denn er ist schon zehn Minuten über die Zeit und weit und breit nicht zu sehen.
    In diesem Augenblick klingelt Hans’ Mobiltelefon, es werden vier Sätze gewechselt. Danach ist unser Leben auf den Kopf gestellt.
    »Hier ist Bodil«, sagt die Stimme am andern Ende. »Sind deine Geschwister bei dir?«
    Bodil Fisker, genannt Bodil Nilpferd, obwohl sie kleinund dünn ist, braucht sich nicht vorzustellen. Sie ist Gemeindedirektorin des Bezirks Grenå, zu dem die Inseln Finø, Anholt und Læsø gehören. Alle kennen sie. Hans braucht das Handy auch nicht auf laut zu stellen, damit wir mithören können, nicht weil sie schreit, sie spricht ganz normal, sondern weil ihre Stimme derart durchdringend ist, dass sie die entferntesten Ecken des Erdballs erreicht. Und es ist nicht nur ihre Stimme, es ist auch ihr Wesen, und die Sache mit dem Geist Gottes, der über den Wassern schwebt, könnte auch über Bodil Nilpferd geschrieben worden sein.
    Was aber eben über all dem steht, ist nicht sie selbst, sondern Bodils Aufmerksamkeit. Eine Gemeindedirektorin ist keine Person, die man live erlebt, sie ist eine Person, die Leute unter sich hat, die wiederum Leute unter sich haben, denen wiederum Leute unterstellt sind, und diese untersten, die rufen einen an. Ich habe Bodil Nilpferd einmal gesehen, bei einer Gelegenheit, an die ich am liebsten gar nicht denken will, von der ich dir aber trotzdem bald erzählen muss. Dass sie höchstpersönlich anruft, zeigt nur, wie ernst die Lage ist.
    »Tilte, Peter und Basker sind bei mir«, sagt Hans.
    »Haben eure Eltern eine Adresse hinterlassen?«
    »Nur Mutters Handynummer.«
    »Wann seid ihr zurück?«
    »Wir machen noch eine Fahrt, dann gebe ich den Wagen ab.«
    »Ruf mich an, wenn ihr nach Hause kommt. Unter dieser Nummer.«
    Dann legt sie auf.
    In diesem Augenblick dreht Tilte den Kopf und sieht mir in die Augen. Und ich weiß warum. Sie will mich anetwas erinnern. Daran, dass sich genau jetzt eine Chance eröffnet.
    Ich hab einen Augenblick gebraucht, ehe ich dir das erzählen konnte. Aber jetzt sage ich es freiheraus.
    Tilte und ich haben entdeckt, dass die Tür nicht nur in den glücklichen Augenblicken offen steht. Auch in den schrecklichen. Wenn du erfährst, dass jemand gestorben ist oder Krebs hat oder verschwunden ist. Oder dass Kaj Molester Lander, in weiten Kreisen auf Finø bekannt als achte von Ägyptens sieben Plagen, heute früh um vier aufgestanden ist, um als erster an den Brutstätten der Möwen zu sein, wo wir im Mai Eier sammeln, was für die Möwen in Ordnung ist; Silber- und
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