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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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ausgeharrt, wofür wir dir danken, aber nicht unsere Messen besucht. Du
gehörst zur militärischen Besatzung, der die Franzosen freies Geleit,
Straffreiheit und Vergebung versprochen haben.«
    Sie blickt durch das nunmehr offene Tor der so lange belagerten
Festung. Zahlreiche Ritter und Soldaten sind mit ihren Familien seit der
Kapitulation vierzehn Tage zuvor hindurchgegangen, aber manche der Unterstützer
haben sich, wie diese Frau, zum Bleiben und somit zum Sterben entschlossen.
    Weinend schüttelt die Frau den Kopf.
    »Ich möchte meine Seele retten und euch guten Menschen in den Tod
folgen«, sagt sie.
    »Das Feuer bereitet schmerzlichen Tod«, erwidert Clara, »und dem
könnten eine peinliche Befragung und Folter vorausgehen. Bist du dazu
bereit?«
    Die Frau blickt zu ihrem Mann, der von Alexander soeben das
Consolamentum empfängt, und nickt.
    Mit Tränen in den Augen verleiht die Perfecta Clara der siebzehnten
Frau innerhalb von zwei Tagen das katharische Sakrament. Danach sollten die
Seelen aller zweihundertdreißig Menschen, die sich noch auf der Burg Montségur
aufhalten, schon an diesem Tag unverzüglich ins Himmelreich zurückkehren.
    »Es endet genau, wie es begonnen hat«, sagt Ermine und berührt ihre
Tochter leicht an der Schulter. »Mit Mord, den ein Graf von Toulouse in Auftrag
gegeben hat – jedes Mal, um uns zu schützen. Und jedes Mal mit fürchterlichen
Folgen. Als dein Vater Raimund vor Jahrzehnten den päpstlichen Legaten ums
Leben bringen ließ, rief der Papst zum Kreuzzug gegen uns auf. Und jetzt hat
dein Bruder Raimund Inquisitoren töten lassen, um uns vor ihnen zu retten.
Damit hat er die Soldaten des Königs hergebracht.«
    »Er hat mir beim Leben seiner Tochter versprochen, uns nicht auf dem
Montségur zu verfolgen«, murmelt Clara.
    »Dafür hätte er aber kein anderes Leben nehmen dürfen«, bemerkt
Ermine. »Gewalt, auch wenn sie guten Glaubens ausgeübt wird, gebiert Gewalt. Es
gibt keine Entschuldigung für Waffengewalt. Keine.«
    Aus den Augenwinkeln sieht Clara die Frau, der sie soeben das
Consolamentum erteilt hat, mit ihrem Mann eilig auf den westlichen Burgturm
klettern.
    »Nein!«, brüllt sie den beiden entgeistert zu. Bereits auf den
Zinnen stehend, ihren Mann an der Hand haltend, blickt die Frau zu Clara und
Ermine hinab.
    »Wir wollen nicht auf das Feuer warten«, schreit sie zurück. »Wir
werden jetzt hinabfliegen, um sogleich nach Hause ins Himmelreich hinaufzugelangen.«
    Mit ausgestreckten Armen stürzt sich das Paar in die Tiefe.
    »Sie sind frei! Sie sind frei!«, geht der Ruf durch die dicht
gedrängte Menge im Burghof. Andere wollen dem Beispiel folgen, ebenfalls die
Türme erklimmen.
    »Hört mir zu!«, ruft Clara. »Wir werden jetzt die Franzosen
überfallen!«
    Hastig steigt sie auf einen Mauervorsprung und hebt die Hände. Ein
Windstoß reißt ihr das Tuch vom Kopf und zerrt an ihren eisengrauen Haaren, die
wie ein gewaltiger Strahlenkranz ihr schmales Antlitz kurz umrahmen, ehe sie
ihr auf die Schultern fallen und ins Gesicht wehen.
    »Ich werde niemanden abhalten,
sich in den Tod, in das wirkliche Leben, zu stürzen«, spricht sie in die
plötzlich entstandene Stille und bläst eine Haarsträhne zur Seite. »Doch dann
geschieht mit euch, was mit unseren beiden Freunden gerade geschieht – die
Franzosen sammeln unten die einzelnen Leiber auf, werfen sie in die Feuer,
waschen sich danach die Hände, ziehen ab und erklären uns Katharer für
endgültig besiegt.«
    »Du hast gesagt, wir sollen sie überfallen?«, ruft ein Mann
ungläubig zu Clara hinauf.
    »Ja, wir überfallen sie mit unserer Überzeugung, mit unserem Glauben
und mit unserer Gemeinsamkeit. Das ist mein Vorschlag, liebe Schwestern und
Brüder …«
    Während sie weiterspricht, blickt Ermine mit leuchtenden Augen zu
der Tochter hinauf, mit der sie seit fünfzehn Jahren zusammenlebt und arbeitet.
Sie ist die Tochter des Grafen von Toulouse, hat seine Klugheit und Gewitztheit
geerbt, seine Gabe, Menschen zu begeistern, denkt sie. Sie hat einen viel
längeren und viel beschwerlicheren Weg hinter sich als die meisten unter uns.
Weil sie es viel leichter hätte haben können. Sie hätte sich in ein gemachtes
Bett am königlichen Hof legen und dort gemütlich ruhen können. Doch sie hat sich
für einen Weg entschieden, der ihrer alten Welt widerspricht, aber an den sie
wahrhaftig glaubt. Sie ist sich stets treu geblieben, auch wenn sie geirrt hat.
Und niemals hat sie einem anderen Menschen Schuld
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