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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin
Autoren: Martina Kempff
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zugewiesen, nicht einmal mir,
die ich sie doch so früh im Leben verlassen habe. Clara. Meine Tochter. Du bist
die erste Katharerin unter uns. Ich werde dir folgen. Wie alle diese guten
Menschen hier auch.
    Nach ihrer Ansprache springt Clara wie ein junges Mädchen vom
Mauervorsprung und umarmt ihre Mutter.
    »Wirst du es schaffen?«, fragt sie besorgt.
    »An deiner Seite«, erwidert Ermine lächelnd. Ihre Knochen schmerzen
ungeheuerlich, und ihr graust vor dem steilen Abstieg. Nicht vor dem, was
danach auf sie wartet.
    Mit ihrer Mutter schreitet Clara auf das Burgtor zu. Niemand
spricht. Es ist alles gesagt worden.
    Die Franzosen blicken nach oben,
sehen eine Schlange, die den Berg hinabkriecht, ein einziges, unendlich langes
geräuschloses Tier, das sich bedrohlich durch die Serpentinen des schmalen
Grats windet. Eine Schlange mit grauem Medusenhaupt.
    »Schürt das Feuer!«, ruft der Heerführer. »Es sind mehr, als wir
dachten!«
    Eilig wird auf dem riesigen Scheiterhaufen Holz nachgelegt. Die
Flammen lodern hoch.
    Aus der großen Gruppe der Inquisitoren, die das Heer begleitet,
zieht sich plötzlich ein Franziskaner zurück und beginnt unvermittelt laut zu
singen. Ein Dominikaner eilt auf ihn zu und zerrt an seiner Kutte.
    »Lass das, Bruder! Wir müssen uns auf die Befragung
vorbereiten!«
    Er nickt zu der Abteilung hinüber, die der Folterung der Katharer
harrt. Die Schrauben-Pressen, mit denen den Ketzern vor ihrem Feuertod der
Irrglaube aus dem Kopf gequetscht werden soll, würden tagelang in Betrieb sein
müssen, um diese große Zahl von Menschen bedienen zu können.
    Der Franziskaner singt lauter, seine Stimme hallt über das Feld und
erreicht jetzt auch den Kopf der Schlange:
    »Gelobt seist Du, mein Herr,
durch unseren Bruder, den leiblichen Tod,
kein lebender Mensch kann ihm entrinnen.
Weh’ denen, die sterben in schwerer Sünde.
Selig, die der Tod trifft
in Deinem heiligsten Willen,
denn der zweite Tod kann ihnen nichts antun.
Lobt und preist meinen Herrn,
und dankt und dient ihm mit großer Demut.«
    Die Schlange hat das Feld der wartenden Soldaten und
Priester schon fast erreicht.
    Clara wartet, bis die Worte des Franz von Assisi verklungen sind.
Ein Ruf von weit her, eine Botschaft. Sie vermeint, den Zitronenduft im Garten
der Portiuncula zu riechen, Blanka neben sich zu spüren und den ausgemergelten
Leib des Franz von Assisi vor sich zu sehen. Tränen steigen ihr in die Augen.
Sie wischt sie fort, steigt die letzten Schritte hinab, nimmt ihre Mutter an
der Hand, tritt zur Seite und ruft den hinter ihr Gehenden zu:
    »Jetzt! Schnell! Lauft!«
    Die Schlange bricht lautlos auseinander. Mehr als zweihundert
Menschen rennen auf das riesige Feuer zu und stürzen sich hinein. Fassungslos
blicken ihnen die Soldaten des französischen Königs hinterher.
    Keiner wagt, auch nur einen der Katharer zu ergreifen.
    Als Letztes bleiben zwei Frauen übrig, die langsam Hand in Hand dem
Flammenmeer entgegengehen, eine nicht mehr junge und eine sehr alte Frau.
    Als die beiden ihren Gefährten ins Feuer folgen, schießt mit einem
Mal ein leuchtend weißer Lichtstrahl aus den Flammen. Kurzzeitig geblendet
schließen alle Männer auf dem Feld der Verbrennenden die Augen. Alle, außer dem
Franziskaner, der nahe an das Feuer geeilt ist, sich auf die Knie geworfen und
die Hände gehoben hat, als segne er die im Feuer Sterbenden. Unverwandt blickt
er zu der nicht mehr jungen Frau, deren eisengraues Haar rasch versengt, und
vermeint, zwischen dem Prasseln der Scheite, dem Zischen von Fett und dem
Zerbersten von Gebeinen eine Stimme zu vernehmen, völlig frei von jeglichem
Hohn: »Es lebe Königin Blanka!«

  Nachwort  
    M eine Leser mögen mir bitte verzeihen: Erstmals habe
ich in einem Roman eine Hauptfigur erfunden – Clara. Allerdings hätte es eine
solche Tochter des Grafen von Toulouse durchaus geben können; dieser Herr
zeugte unzählige Bastarde, von denen sich viele den Katharern angeschlossen
haben. Claras Weg war kein ungewöhnlicher für eine adelige Dame aus Okzitanien.
    Ursprünglich sollte es in diesem Buch ausschließlich um Blanka von
Kastilien gehen. Doch ich begriff im Verlauf der Recherche und des Schreibens,
wie viele Blickwinkel ich zur Schilderung dieser unübersichtlichen, wirren und
abenteuerlichen Zeit brauchte. Und so schlich sich Clara in die Geschichte ein,
gewissermaßen die andere Seite jener Medaille, die Blanka heißt.
    Alle anderen historischen Figuren haben gelebt, und an
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