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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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dadurch ähnlich gute Chorknaben zu erhalten, wie Fassi selbst einer gewesen war. Mit einem bitteren Geschmack im Mund dachte er daran, dass jetzt nicht ein Sohn von ihm, sondern der Müllersohn Ludovico der Liebling des neuen Grafen war.
    Da er nicht sofort antwortete, fuhr seine Frau ihn an. »Was ist los? Hat dir mein Anblick die Sprache verschlagen?«
    »Du sollst dich doch nicht aufregen, Maria.« Er wusste selbst nicht mehr, wie oft er diesen Satz an einem Tag aussprach. Geholfen hatten seine Worte bis jetzt noch nie. Auch diesmal reagierte seine Frau gereizt und wiederholte all die Vorwürfe, mit denen sie ihn schon seit Jahren überschüttete. Er kannte sie alle auswendig und zählte mit, bis Maria auf ihre einzige Tochter zu schimpfen begann. »Du bist schuld, dass Giulia so bockig und verstockt ist. Hättest du sie nicht als kleines Kind mit ins Kloster genommen, obwohl einem weiblichen Wesen verboten ist, es zu betreten, hätte sie niemals diesen unheiligen Wahn entwickelt, es den Engelsstimmen des Chores gleichtun zu wollen.« Mit dieser Anklage beendete sie ihren Redeschwall und blickte giftig zwischen den Laken hervor. »Ich habe Giulia nicht mit ins Kloster genommen. Als kleines Kind ist sie mir ein paarmal nachgelaufen, bis der Bruder Kastellan sie schließlich zu mir brachte. Außerdem hat sie nur den Probenraum betreten, der zum Internat der Knaben gehört und nicht innerhalb des eigentlichen Klostertrakts liegt.« Fassi hatte ihr das schon oft erklärt und tat es eigentlich nur noch aus Gewohnheit, denn er wusste, dass er genauso gut der Wand hätte predigen können. »Giulia ist eine Plage Gottes. Warum hat ausgerechnet sie überlebt, während mein kleiner Pierino so früh sterben musste?« Maria Fassi brach in haltloses Schluchzen aus.
    Ihr Mann war froh, das Mädchen weggeschickt zu haben, denn die bösen Worte seiner Frau würden ihr gewiss sehr wehtun. Er fragte sich jedoch, wie oft seine Frau ihre Anschuldigungen in Giulias Gegenwart vorgebracht haben mochte. Auch er trauerte um seinen Sohn, der vor mehreren Monaten im Alter von sieben Jahren verstorben war. Zwei Wochen darauf war seine Frau zu früh mit einem tot geborenen Kind niedergekommen, und seitdem kränkelte sie. Vor allem aber machte sie Giulia den Vorwurf, als einziges Mädchen, das sie je geboren hatte, noch zu leben, während sieben Knaben entweder tot zur Welt gekommen oder jung gestorben waren.
    Maria Fassi streckte den Arm aus und krallte ihre Finger mit erstaunlicher Kraft in das Wams ihres Mannes. »Wenn mein Pierino noch leben würde, stände er jetzt in der Gunst des Grafen und nicht dieser unsägliche Müllersbalg! Dann würde Pierino heuer die Solostimme singen, und der Graf würde dich reich entlohnen.«
    Fassi schüttelte seufzend den Kopf. »Pierino wäre noch viel zu klein dafür. Aber im Chor hätte er schon mitsingen können.«
    Seine Frau ließ sich jedoch nicht beirren. »Pierino hätte die Solostimme gesungen und dir die Gunst des Grafen erhalten. Aber so wissen wir nicht einmal, ob wir nächstes Jahr noch ein Dach über dem Kopf haben.«
    »So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte Fassi schärfer als beabsichtigt.
    »Und ob es das ist!«, höhnte seine Frau. »Wenn du wirklich in der Gunst des Grafen stehen würdest, käme heuer eine Messe von dir zur Aufführung und nicht die eines anderen. Außerdem hat mir Lodrina berichtet, dass der Graf plant, Ludovico im nächsten Jahr nach Rom mitzunehmen und ihn als Komponisten ausbilden zu lassen. Er wird ihm dann deinen Posten geben und dich wie einen Hund davonjagen.«
    »Selbst wenn Ludovico das Talent dafür hätte, was er meiner Ansicht nach nicht hat, würde es Jahre dauern, bis er genug gelernt hat, um als Komponist und Kapellmeister wirken zu können.«
    Während er noch versuchte, seine Frau zu beruhigen, spürte er Ärger wie bittere Galle in sich aufsteigen. Sie wusste genau, dass noch nie ein Werk von ihm bei einer Messe zu Ehren des heiligen Ippolito gespielt worden war. Er hätte ihr erklären können, dass ihm bisher weder ein Auftrag erteilt noch die Zeit zugestanden worden war, so etwas Langes und Kompliziertes wie eine gesungene Messe zu komponieren. Seine Frau stichelte weiter: »Ludovico reist nach Rom. Wann hat der Graf denn dich das letzte Mal dorthin mitgenommen?«
    Für einen Moment stand Girolamo wie mit Eiswasser übergossen. Maria sprach da etwas an, das ihn selbst schon lange in der Seele schmerzte. Seit Jahren hatte ihn der Graf
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