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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
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nicht mehr mit nach Rom oder wenigstens bis Perugia mitgenommen. Dabei hätte Fassi liebend gern seine kurze Bekanntschaft mit Giovanni da Palestrina, dem Komponisten der neuen Messe, vertieft und dessen neueste Werke studiert. Es war auch schon etliche Monate her, seit er dem Grafen eine seiner eigenen Kompositionen hatte vorspielen dürfen. Gisiberto Corrabialli hatte jedoch nur lauen Beifall gespendet und ihm auch die eigentlich fällige Entlohnung verweigert.
    Fassi sah auf seine reizlose Frau herab, die ihm keine lebensfähigen Söhne hatte gebären können, und hoffte unwillkürlich, bald von ihr erlöst zu sein. Er war noch jung genug, um mit einer anderen Frau kräftige, wohlgeratene Söhne in die Welt zu setzen.
    Ein Teil seiner Gedanken musste sich auf seinem Gesicht gespiegelt haben, denn seine Frau fuhr wild auf. »Du willst mich wohl loswerden, du Schuft. Aber noch ruft Gott mich nicht zu sich, obwohl es mir manchmal wie die Erlösung vorkommen würde.«
    »Ich habe nichts dergleichen gedacht, Maria.« Der Schrecken über die Irrwege seiner eigenen Empfindungen ließ Fassis Stimme sanfter klingen als in den vergangenen Wochen.
    Seine Frau beruhigte sich ein wenig und sah mit einem Mal hoffnungsvoller aus. »So Gott will, werde ich bald wieder gesund, und wir können doch noch den Sohn haben, den wir uns wünschen.«
    »Das würde mich sehr freuen, Maria.« Girolamo legte seine Rechte auf die seiner Frau und drückte sie zärtlich. Er glaubte jedoch nicht mehr daran. Zu oft waren seine Erwartungen und Träume zerstoben. »Ich muss jetzt in meine Kammer, um den Unterricht für morgen vorzubereiten.« Abrupt ließ er die Hand seiner Frau los und wandte sich zum Gehen. »Du musst Giulia noch einmal deutlich sagen, dass sie nicht mehr zum Kloster laufen darf!«, rief sie ihm nach.
    Fassi nickte ergeben und schloss die Tür hinter sich, erleichtert, das von Kampfer- und Kamilledüften erfüllte Zimmer verlassen zu können. Er vergaß den Auftrag seiner Frau jedoch nicht, sondern rief Giulia zu sich, als sie mit dem hageren, vornübergebeugten Beppo vom Garten zurückkam.
    Neugierig schlüpfte sie in sein Zimmer. »Was gibt es, Vater?«
    Fassi winkte sie zum Fenster und blickte sie ernst und, wie er hoffte, auch ein wenig vorwurfsvoll an. »Ich muss mit dir reden, Kind. In einem hat deine Mutter wirklich Recht: Es ist ungehörig, dass du dich zum Kloster hoch schleichst, um die Chorknaben zu belauschen. Du musst bedenken, dass du bald eine Frau sein und einem Mann angehören wirst. Was du tust, ist nicht nur ungehörig, sondern eine große Sünde, denn du führst die frommen Patres zumindest im Geiste in Versuchung.«
    Giulia hätte ihm erklären können, dass sie das Gelände des Klosters ja gar nicht betrat, sondern die Chorproben durch ein kleines Fenster belauschte, das auf den verwilderten Hang hinausging. Sie sagte sich jedoch, dass ihr Vater kaum einen Unterschied machen und sie mit ihrem Geständnis ein günstiges Versteck preisgeben würde. Daher nahm sie den Tadel mit unbewegter Miene hin.
    Fassi starrte auf ihre trotzig vorgeschobene Unterlippe. »Hast du mich verstanden, Kind?«
    Giulia nickte, sah ihrem Vater dabei aber nicht ins Gesicht. »Ich habe verstanden, Vater. Ich darf nicht ins Kloster zu den Patres gehen, da dies eine Sünde ist.« Sie betonte das ›ins Kloster gehen‹ ganz besonders und ließ dabei die Chorknaben völlig außer Acht. Auch wenn man zu Hause keinen Unterschied machen würde, so wollte sie vor Gott und dem Jesuskind keine Lüge aussprechen.
    Zu ihrer Erleichterung gab sich ihr Vater mit diesem Versprechen zufrieden und wandte sich seinem Schreibpult zu. Er schien Giulias Anwesenheit vergessen zu haben, denn er runzelte die Stirn und zeichnete mit übertriebener Genauigkeit einige Noten auf Papier. Mit einem Mal sah er jedoch auf und lächelte ihr aufmunternd zu. »Ich habe ein neues Lied komponiert. Wenn du möchtest, darfst du es singen.«
    »Gerne, Vater.« Giulia nahm das Notenblatt entgegen und stimmte die ersten Takte an. Die Melodie war recht hübsch, aber nachdem Giulia mittlerweile eine Palestrina-Messe kennen gelernt hatte, wurde ihr schlagartig klar, dass ihr Vater allerhöchstens ein mittelmäßiger Komponist war. Die Erkenntnis traf sie tief, denn sie liebte ihn und hätte ihn gerne als den besten und erfolgreichsten Musiker des Landes gesehen.
    Ihr Vater hörte ihr lächelnd zu und klatschte in die Hände, als sie das Lied zu Ende gesungen hatte.
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