Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
sie dir die Lippen zunähen lassen, damit kein Ton mehr aus deinem Schnäbelchen kommt. Ich weiß nicht, ob es wirklich eine Sünde ist, wenn eine Frau ein frommes Lied in der Kirche singt, aber eines weiß ich gewiss: Es ist eine weitaus größere Sünde, fremden Leuten die Wäsche schmutzig zu machen. Ludovico sollte sich was schämen.«
    Mit diesen Worten packte Assumpta den Korb und stieg schwer atmend die schmale Treppe zum Dachgeschoss hoch. Auf halbem Weg drehte sie sich noch einmal zu Giulia um. »Ich werde das Laken bei der nächsten Wäsche wieder mitwaschen, damit deine Mutter nichts merkt.« Sie sagte es so leise, dass nur das Mädchen es verstand und es nicht in das Zimmer der Mutter dringen konnte. »Danke, Assumpta!« Giulia atmete sichtlich auf und nahm sich fest vor, weder ihrem Vater noch ihrer Mutter in den nächsten Tagen Anlass zur Sorge zu geben.

III .
    E s war fast, als wollte Giulias Mutter ihr mit aller Gewalt das Singen abgewöhnen, denn sie überhäufte ihre Tochter mit mehr Arbeit, als eine Elfjährige bewältigen konnte, und ließ sich von Assumptas Einwänden nicht beirren. »Giulia ist kein Kind mehr. Sie muss lernen, die Verantwortung im Haushalt zu übernehmen. In ein paar Jahren wird sie heiraten. Ich will nicht, dass sie ihrem Mann und ihren Schwiegereltern Grund zur Klage gibt. Außerdem ist es meine Tochter und nicht die deine!« Maria Fassis Stimme klang bei diesen Worten so eisig, dass die Magd keinen Widerspruch mehr wagte.
    Assumpta schlurfte hinaus, wo Giulia eben dabei war, mit zwei Ledereimern Wasser vom Brunnen ins Haus zu bringen. Die Arbeit musste dringend getan werden, da der Trog im Anbau bis auf einen Fingerbreit Wasser leer war. Doch das erschöpfte Kind tat ihr Leid. Als Giulia zum dritten Mal den Weg hochkam, nahm sie ihr die Eimer ab und schüttete den Inhalt selbst in den Trog. »Den Rest des Wassers trage ich herein. Du kannst unterdessen das Schüsselchen mit Samen zu Beppo in den Garten bringen. Er hat es vorhin vergessen«, raunte sie dem Mädchen zu.
    Über Giulias verschwitztes Gesicht glitt ein Lächeln der Erleichterung. Sie ergriff die kleine Schüssel, huschte zur Türe hinaus und lief die Treppengasse hinab zum Tor. Kurz darauf erreichte sie das kleine Stück Land, das der Graf ihrem Vater überlassen hatte. Beppo war gerade dabei, die Erde umzugraben.
    Als er sie kommen sah, richtete er sich seufzend auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hast du mir was zum Trinken mitgebracht?«
    Giulia tat es Leid, ihn enttäuschen zu müssen. »Leider nein, nur den Samen, den du vergessen hattest. Aber ich könnte für dich zum Brunnen laufen, wenn du einen Krug oder Becher hier hast.«
    Der alte Gärtner dachte einen Augenblick nach und schlurfte dann zu der kleinen Hütte, die er aus alten Brettern zusammengezimmert hatte. Als er zurückkam, schwenkte er einen bauchigen Krug. »Der müsste gehen, Giulia. Aber du musst ihn gut ausspülen. Er ist nämlich arg staubig.«
    Giulia nahm das Gefäß und rannte wie ein Wiesel davon. Als sie nach kurzer Zeit mit dem vollen Krug zurückkehrte, war Beppo schon dabei, den Samen zu streuen. Er nahm den Krug, ließ etwas Wasser über seine Unterarme rieseln und benetzte sich die Stirn, bevor er trank. »Das muss man tun, um sich abzukühlen. Es ist nämlich nicht gut, wenn man erhitzt trinkt«, erklärte er Giulia mit ernster Stimme. Da er ihr diesen Vortrag mindestens fünfmal im Jahr hielt, lächelte das Mädchen nachsichtig und fragte ihn, ob er noch etwas benötigen würde. »Nein, du kannst wieder nach Hause gehen. Sag meiner Alten, dass ich heute besonders viel Hunger habe.« Auch dies war ein Ritual, das Beppo gern wiederholte.
    Giulia versprach es, ging aber noch einmal an den Gemüsebeeten entlang, bevor sie in die Stadt zurückkehrte. Unterwegs drängte es sie plötzlich mit aller Macht, den ersten Teil der Palestrina-Messe zu singen. Sie presste die Kiefer ganz fest zusammen, um diesen Wunsch zu bekämpfen. Als auch das nichts half, stimmte sie schließlich die kleine Melodie ihres Vaters an. Es war zwar kein gleichwertiger Ersatz, doch wenigstens konnte sie niemand schelten, wenn sie dieses Lied sang.
    Als sie fertig war, wiederholte sie es und veränderte aus dem Gefühl heraus einige kurze Passagen. So wie sich das Lied jetzt anhörte, stellte es sie schon eher zufrieden als das Originalwerk ihres Vaters. Sie feilte noch ein wenig daran und sagte sich dann, dass auch ihr Vater es nicht besser hätte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher