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Die Karte der Welt (German Edition)

Die Karte der Welt (German Edition)

Titel: Die Karte der Welt (German Edition)
Autoren: Royce Buckingham
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freikamen.
    »Ich kann die Heimat der Düsterlinge nicht zeichnen, solange ich nicht die Landschaft in der Umgebung kenne«, erklärte Wex. »Ganz ohne Bezugspunkt würde ich sie nie richtig hinbekommen.«
    »Dann haben wir einen langen Marsch vor uns. Doch glücklicherweise ist der Pass, der dorthin führt, in unserer Hand. Trotzdem macht mich deine Aussage neugierig. Kannst du denn nicht zeichnen, was immer du willst?«
    »Nein. Ich enthülle nur, was schon da ist. Jedes Mal, wenn ich versuche, etwas Neues zu erschaffen, passiert etwas Schlimmes.«
    »Ich frage mich, ob es nicht etwas gibt, das du auf dem Weg dorthin für mich enthüllen könntest, junger Stoli?«
    Vill Magnan sprach so nüchtern und besonnen, dass es gespenstisch war. Sein erklärtes Ziel war, die Heimat seiner Untertanen aus ihrem dunklen Gefängnis zu befreien, und wiederholt versicherte er Wex, dass zur Umsetzung dieses Plans niemand von denen sterben musste, die er liebte, außer ihr Tod würde Wex dazu veranlassen zu kooperieren. Insofern schien ihr Überleben reine Verhandlungssache. Aber über Vills Plan war Wex sich nach wie vor im Unklaren. Wenn er ihn beim Wort nahm, musste Wex Vill lediglich helfen, die Düsterlinge zurück in ihre Heimat zu führen. So weit, so gut. Aber Wex nahm Vill nicht beim Wort. Elger hatte ihm stets eingeschärft, dass die Taten eines Menschen doppelt so viel über den Charakter aussagten wie bloße Worte.
    Vill sprach also davon, den Düsterlingen zu helfen. Aber weshalb? Was auch immer der Grund war, er hatte Menschen dafür getötet, und das massenhaft, und es gab Gerüchte, dass er vorhatte, noch mehr zu töten, nämlich jeden, der Fürst Kryst die Treue geschworen hatte. Das bedeutete, Fretter und seine Soldaten sowie Brynns Familie.
    Anhand der Formel seines Vaters wog Wex Vills angebliches Vorhaben, den Düsterlingen zu helfen, gegen die Schrecken auf, die er bereits angerichtet hatte. Das Ergebnis war eindeutig, ganz egal, was auch immer Vill sagte.
    »Du hältst mich also für böse?«, fragte Vill, als hätte er Wex’ Gedanken gelesen. »Ich habe diesen Geschöpfen einen Lebensinhalt gegeben. Sie sind keine Sklaven, und ich behandle sie gut.« Er deutete auf Arkh. »Ihr selbst habt einen von ihnen in euren Reihen. Behandeln sie ihn gut? Ist er akzeptiert in der Gesellschaft von Abrogan? Ich glaube, nicht.«
    »Nein«, gab Wex zu. »Er ist mein Freund, aber andere sehen in ihm ein Monster.«
    »Ich werde ihn fragen, ob er sich mir anschließen möchte. Ich bin überrascht, dass er so lange unter Menschen überlebt hat.«
    »Er ist selbst ein halber Mensch«, erwiderte Wex.
    Vill nickte nachdenklich, und sein Gesicht sah dabei fast überrascht aus. »Aber welche Frau in Abrogan könnte ein solches Wesen zur Welt gebracht haben?«, überlegte er laut.
    Kraven hörte aufmerksam zu, während Wex berichtete, wie Arkhs adlige Mutter in der Nähe des Schleiers von seltsamen Kreaturen angegriffen worden war und danach Arkh zur Welt gebracht hatte.
    »Sie hatte den Hof von Skye verlassen, um nach ihrem verschollenen Mann zu suchen«, schloss Wex die Erzählung ab.
    »Rührend«, kommentierte Vill, und Wex wusste nicht, ob er es ernst meinte oder nicht. »Aber wie hat sie …?«
    »Der Schleier!«, kreischten die Düsterlinge an der Spitze des Trosses. »Der Schleier! Der Schleier!«
    Sie brabbelten durcheinander, in heller Aufregung diesmal, nicht verschüchtert und ängstlich wie in der Vergangenheit. Vill hatte sie so weit gebracht. Sie glaubten, dass er den Schleier besiegen konnte. Er hatte die Flussmenschen besiegt, die Aussätzigen und das Garnisonsheer, und jeder Gegner war schwieriger gewesen als der vorherige. Seine Macht wuchs, und Wex spürte, dass Vill ihm bei seinem nächstem Expansionsschritt eine wichtige Rolle zugedacht hatte.
    »Ah, da sind wir«, verkündete Vill.
    Wex blickte auf. Sie befanden sich wieder in den Ausläufern der Zornberge, wo der ganze Ärger begonnen hatte, nur waren diesmal alle dabei: Fretters Trupp, Brynns Familie, einer von Wex’ Widersachern aus Kindertagen und sein Vater. Es war, als wäre ihm sein gesamtes Leben an diesen Ort gefolgt, als hätte er alle, die je mit ihm zu tun gehabt hatten, in diese Sache mit hineingezogen. Seine lächerlichen Zeichnungen hatten das angerichtet, und es gab nichts, was Wex jetzt noch dagegen tun konnte.
    »Nimm die Karte«, sagte Vill. »Ich möchte, dass du etwas zeichnest.«



73
    Der Schleier war jetzt weniger als zwanzig Meter
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