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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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Bäumen nahe am Ufer befestigt waren. Auf dem Comer See legen nämlich die Fischer schwimmende Angeln in ziemlich weiter Entfernung vom Ufer aus. Das obere Ende der Schnur ist an einem mit Kork unterlegten Brettchen befestigt, auf dem eine elastische Haselrute mit einem Glöckchen angebracht ist; es klingelt, sobald der Fisch angebissen hat und an der Schnur zerrt.
    Der Hauptzweck der nächtlichen Seezüge, die Fabrizzio befehligte, war, diese Nachtangeln aufzusuchen, ehe die Fischer auf das Klingelzeichen aufmerksam wurden. Man wählte zu diesen wagehalsigen Ausfahrten stürmisches Wetter und schiffte sich meist in der Frühe ein, eine Stunde vor Sonnenaufgang. Daß die Jungen beim Einsteigen in die Barken glaubten, sie stürzten sich in die größten Gefahren, darin lag das Schöne ihres Tuns, und nach dem Vorbild ihrer Väter beteten sie andächtig ein Ave-Maria. Nun geschah es zuweilen, daß Fabrizzio im Augenblick der Abfahrt oder kurz nach dem Ave-Maria von einem Vorzeichen betroffen wurde. Das war die Frucht der astrologischen Studien seines Freundes, des Abbaten Blanio. Bei seiner jugendlichen Einbildungskraft kündigte ihm das Vorzeichen mit Sicherheit den guten oder schlimmen Ausgang an, und da er der Beherzteste unter seinen Kameraden war, so gewöhnte sich allmählich die ganze Schar so an die Vorbedeutungen, daß, wenn im Augenblick der Abfahrt ein Bettelmönch sichtbar ward oder linker Hand ein Rabe flog, die Barken schleunigst wieder angekettet wurden und jeder wiederschlafen ging. So hatte der Abbate Blanio seine ziemlich schwierige Wissenschaft Fabrizzio zwar nicht gelehrt, aber er hatte ihm, ohne daß er es selber wußte, ein grenzenloses Vertrauen in alle Vorzeichen künftiger Geschehnisse eingeimpft.
    Der Marchese hegte das Gefühl, daß ihn bei seinem geheimen Briefwechsel einmal ein unglücklicher Zufall in die Lage bringen könne, des Einflusses seiner Schwester zu bedürfen; und so erhielt Fabrizzio alljährlich am Feste der heiligen Angela, dem Namenstage der Contessa Pietranera, die Erlaubnis, acht Tage in Mailand zu verbringen. Das ganze Jahr zehrte er von der Hoffnung auf diese acht Tage oder von der Erinnerung daran. Um diesem großen Ereignis noch mehr Bedeutung zu geben, händigte der Marchese seinem Sohn jedesmal vier Taler ein, während er seiner Gattin, die Fabrizzio begleitete, nichts zu geben pflegte. Dafür reisten am Tage vor der Abreise ein Koch, sechs Bediente und ein Wagen mit zwei Pferden nach Como ab, und die Marchesa hatte in Mailand eine Kutsche und eine Tafel mit zwölf Gedecken zur Verfügung.
    Eine grollende Lebensweise, wie sie der Marchese del Dongo führte, war sicherlich sehr wenig unterhaltsam, aber sie hatte den Vorteil, daß sie den Reichtum der Familien, die sich darein verloren, ungeheuer aufschwellte. Der Marchese, der mehr als zweihunderttausend Lire Jahreseinkommen hatte, verbrauchte davon nicht ein Viertel. Er lebte von der Hoffnung. Während der dreizehn Jahre von 1800 bis 1813 glaubte er immer felsenfest, daß Napoleon binnen einem halben Jahre gestürzt wäre. Man kann sich sein Entzücken vorstellen, als er zu Beginn des Jahres 1813 das Unglück an der Beresina erfuhr. Die Einnahme von Paris und der Sturz Napoleons hätten ihn beinahe um den Verstand gebracht. Nun erlaubte er sich die kränkendsten Äußerungen gegen seine Frau und seine Schwester. Endlich, nach vierzehn Jahren des Harrens, hatte er die unsägliche Freude, die österreichischenTruppen wieder in Mailand einrücken zu sehen. Auf Anweisung von Wien empfing der österreichische General den Marchese del Dongo mit einer Hochachtung, die an Ehrfurcht grenzte. Man trug ihm alsbald eine der höchsten Stellen der Landesverwaltung an, die er wie die Rückzahlung einer Schuld hinnahm. Sein ältester Sohn erhielt eine Leutnantsstelle in einem der besten Regimenter der Monarchie, der jüngere jedoch wollte die ihm angebotene Würde eines Kadetten nie und nimmer annehmen. Dieser Triumph, den der Marchese mit seltener Unverschämtheit auskostete, dauerte aber nur wenige Monate und hatte ein demütigendes Nachspiel. Geschäftliche Begabung besaß er nicht, und die vierzehn Jahre, die er auf seinem Landschloß im Verkehr mit seinen Dienern, seinem Notar und seinem Hausarzt verbrachte, hatten ihn im Verein mit den Grillen des herannahenden Alters zu einem gänzlich unfähigen Menschen gemacht. Nun ist es in österreichischen Landen ein Unding, sich auf einem wichtigen Posten zu halten, ohne die gewisse
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