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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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wiedererobert hatte, sondern die Köpfe voll hatten von einer Prophezeiung des heiligen Giovita, des obersten Schutzpatrons von Brescia. Nach diesem heiligen Orakel sollte das Glück der Franzosen und Napoleons ausgerechnet dreizehn Wochen nach Marengo ein Ende nehmen. Zur gewissen Entschuldigung des Marchese del Dongo und der übrigen grollenden Edelleute sei gesagt, daß sie ernstlich und ohne Narrenspossen an diese Voraussage glaubten. All diese Leute hatten in ihrem Leben keine vier Bücher gelesen. Sie trafen offenkundig ihre Vorbereitungen, nach den dreizehn Wochen wieder nach Mailand zurückzukehren. Aber während die Zeit verstrich, verzeichnete Frankreichs Sache neue Erfolge. Wieder in Paris, rettete Napoleon durch weise Erlasse die Republik im Innern, wie er sie bei Marengo nach außen gerettet hatte. Nun entdeckten die edlen, in ihren Schlössern harrenden Lombarden, daß sie das Wort des heiligen Schutzherrn von Brescia zuerst falsch verstanden hätten: es handle sich nicht um dreizehn Wochen, sondern offenbarum dreizehn Monate. Die dreizehn Monate gingen dahin, und das Glück der Franzosen wuchs sichtlich von Tag zu Tag weiter.
    Wir gehen über zehn Jahre des Fortschritts und des Glückes hinweg, von 1800 bis 1810. Fabrizzio verbrachte davon die ersten im Schloß Grianta, prügelte sich mit den Bauernjungen des Dorfes und lernte nichts, nicht einmal lesen. Später schickte man ihn auf die Jesuitenschule nach Mailand. Der Marchese, sein Vater, verlangte, daß man ihm Latein beibrächte, doch nicht nach den alten Schriftstellern, die immer von Republiken reden, sondern nach einem prächtigen, mit mehr als hundert Kupferstichen geschmückten Folianten, einem Werk von Meistern des Secento. Es war die lateinische Familiengeschichte des Hauses derer von Valserra, Marchesi del Dongo, herausgegeben Anno 1650 von Fabrizzio del Dongo, Erzbischof von Parma. Da die Valserras ihr Glück vornehmlich im Waffenhandwerk gemacht hatten, so stellten die Stiche in der Hauptsache Schlachten dar, und auf jedem sah man einen Helden dieses Namens, der mächtige Säbelhiebe austeilte. Das Buch gefiel dem jungen Fabrizzio ungemein. Seine Mutter, die ihn vergötterte, durfte ihn von Zeit zu Zeit in Mailand besuchen; aber da ihr Gatte ihr niemals Geld zu diesen Reisen gab, war es ihre Schwägerin, die liebenswürdige Contessa Pietranera, die ihr das Nötige borgte. Nach der Wiederkehr der Franzosen war jene eine der glänzendsten Frauen am Hofe des Fürsten Eugen [Eugène de Beauharnais (1781-1824), Stiefsohn Napoleons.] , des Vizekönigs von Italien.
    Als Fabrizzio gefirmelt war, erhielt die Contessa von dem noch immer in freiwilliger Verbannung lebenden Marchese die Erlaubnis, ihn ab und zu aus seiner Schule zu sich kommen zu lassen. Sie fand, er sei eigenartig, geweckt, sehr ernst, aber ein netter Junge, der dem Salon einer Modedame keineswegs zur Unzierde gereiche, im übrigen drollig unwissend, ja kaum des Schreibens kundig. Die Contessa, die ihren Feuergeist in keiner Sacheverleugnete, versprach dem Schulvorstand ihre Gönnerschaft, falls ihr Neffe Fabrizzio bemerkenswerte Fortschritte mache und am Jahresschluß recht viele Preise bekäme. Das Erreichen dieser Ziele förderte sie damit, daß sie den Jungen alle Sonnabende abends abholen ließ und ihn oft erst am Mittwoch oder Donnerstag darauf zu seinen Lehrern zurückschickte. Die Jesuiten waren, trotz der zärtlichen Vorliebe des Vizekönigs für sie, nach den Gesetzen des Königreichs aus Italien verwiesen, und der Superior der Schule, ein gewandter Mann, wußte genau, welchen Vorteil er aus den Beziehungen zu einer am Hofe allmächtigen Frau ziehen konnte. Er hütete sich, über Fabrizzios Ausbleiben Klage zu führen, der, unwissender denn je, am Ende des Jahres fünf erste Preise erhielt. Infolgedessen wohnte die glänzende Contessa di Pietranera mit ihrem Gatten, jetzt Generalleutnant und Kommandeur einer Gardedivision, nebst fünf oder sechs der höchsten Persönlichkeiten vom Hofe des Vizekönigs der Preisverteilung bei den Jesuiten bei. Der Superior wurde von seinen Vorgesetzten beglückwünscht.
    Die Contessa nahm ihren Neffen auf alle glänzenden Feste mit, durch die sich die kurze Regierungszeit des liebenswürdigen Fürsten Eugen auszeichnete. Dank ihrem Einfluß zum Husarenoffizier ernannt, trug der zwölfjährige Fabrizzio Uniform. Entzückt von seiner hübschen Erscheinung, erbat sie eines Tages beim Fürsten eine Pagenstelle für ihn, was soviel bedeutete wie
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