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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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und ist Ruhe in meinem Alter nicht Glück?‹ Da sie einunddreißig Jahre alt war, meinte sie, die Stunde ihres Abschieds von der großen Welt sei gekommen. ›Am Gestade jenes herrlichen Sees, wo meine Wiege stand, harrt meiner endlich ein friedsames, glückliches Leben.‹
    Ich weiß nicht, ob sie sich täuschte, aber so viel steht fest, daß diese leidenschaftliche Seele, die so leichten Herzens zweimal ein Riesenvermögen verschmäht hatte, das Glück ins Schloß Grianta brachte. Ihre beiden Nichten waren närrisch vor Freude. »Du hast mir die schönen Tage der Jugend wiedergebracht!« jubelte die Marchesa ihr zu und schloß sie in ihre Arme. »Am Tage vor deiner Ankunft war ich hundert Jahre alt.«
    Die Gräfin besuchte mit Fabrizzio alle bezaubernden Orte der Umgebung des Schlosses Grianta wieder, die von den Reisenden so gepriesen werden: die Villa Melzi auf dem anderen Seeufer, auf das man vom Schloß einen Ausblick hat, darüber den heiligen Hain der Sfondrata und das kecke Vorgebirge, das die beiden Arme des Sees scheidet, den wonnigen von Como und den tiefernsten von Lecco, erhabene und liebliche Landschaften, denen nur die berühmteste Gegend der Erde, der Golf von Neapel, gleicht, ohne sie zu übertreffen. Mit Entzücken lebte die Gräfin die Erinnerungen ihrer Kindheit wieder durch und verglich sie mit ihrem jetzigen Gemütszustand. ›Der Comer See‹, sagte sie sich, ›ist nicht wie der Genfer See von großen abgegrenzten und nach allen Regeln der Kunst bebauten Feldstücken umrahmt, die an Geld und Gelderwerb erinnern. Hier umgeben mich ringsum Hügel, von ungleicher Höhe, mit Baumgruppen bedeckt, die der Zufall gepflanzt, von Menschenhänden noch nicht verunziert und gezwungen, ihnen etwas einzubringen. Inmitten dieser wunderbar geformten Hügel, die in absonderlichen Hängen nach dem See abstürzen, kann ich alle Illusionen der Schilderungen Tassosund Ariosts bewahren. Alles ist edel und zärtlich, alles spricht von Liebe, nichts erinnert mich an die Häßlichkeiten der Zivilisation. Die auf halber Höhe verstreuten Dörfer sind hinter großen Bäumen versteckt, über deren Wipfel die gefälligen Linien ihrer Kirchtürme hervorlugen. Wenn hier und da ein bebautes Fleckchen von fünfzig Schritt im Geviert die Gruppen der Kastanien und wilden Kirschbäume unterbricht, so schaut das Auge dort zu seiner Befriedigung ein üppigeres und gedeihlicheres Wachstum als anderswo. Und über diese Hügel hinaus, deren Rücken einsame Stätten bieten, die man alle bewohnen möchte, gewahrt der staunende Blick die fernen, von ewigem Schnee bedeckten Spitzen der Alpen, deren ernste Erhabenheit an alles Weh des Lebens erinnert, das einem die Wonne des Augenblicks um so wertvoller macht. Der ferne Glockenton eines unter Bäumen versteckten Dorfkirchleins rührt die Phantasie; dieser gedämpft über das Wasser herdringende Klang nimmt die Farbe süßer Schwermut und Entsagung an und scheint dem Menschen zuzuflüstern: Das Leben flieht dahin. Sei darum nicht allzu wählerisch im Glück, das sich dir darbietet! Eile, es zu genießen!‹
    Die Sprache dieser entzückenden Landschaft, die ihresgleichen nirgends auf Erden hat, machte das Herz der Gräfin wieder jung wie damals, als sie sechzehn Jahre zählte. Sie begriff nicht, wie sie so lange Zeit hatte verbringen können, ohne den See wiederzusehen. ›Hat sich also mein Glück auf die Schwelle des Alters geflüchtet?‹ fragte sie sich. Sie kaufte eine Barke, die sie mit Fabrizzio und der Marchesa eigenhändig ausschmückte, denn trotz aller fürstlichen Herrlichkeit hatte man für nichts Geld. Seit der Marchese del Dongo in Ungnade gefallen war, hatte er seinen aristokratischen Aufwand verdoppelt. Zum Beispiel hatte er, um dem See zehn Schritt Land abzugewinnen, an der berühmten Platanenallee nach Cadenabbia einen Damm aufwerfen lassen, der achtzigtausend Lire kostete. Am Ende dieses Dammes erhob sich,nach Plänen des berühmten Marchese Cagnola, eine Kapelle aus Granitquadern, in der ihm Marchesi [Pompeo Marchesi (1790-1858)] , der Modebildhauer von Mailand, ein Grabmal erbaute, dessen zahlreiche Reliefs die Taten seiner Vorfahren rühmten.
    Fabrizzios älterer Bruder, der Marchesino Ascanio, zeigte Lust, an den Ausflügen der Damen teilzunehmen; aber seine Tante goß ihm Wasser über sein gepudertes Haar und hatte täglich eine neue kleine Neckerei, um ihn aus seiner Schwerfälligkeit herauszubringen. Endlich befreite er die lustige Schar, die in seiner Gegenwart
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