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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma
Autoren: Stendhal
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den Friedensschluß der Familie del Dongo mit der Regierung. Am Tage darauf mußte sie freilich ihren ganzen Einfluß aufbieten, damit der Vizekönig sich ihrer Bitte nicht mehr erinnere, der nichts weiter fehlte als die Einwilligung vom Vater des künftigen Pagen, die schroff verweigert worden wäre. Nach dieser Torheit fand der wutschnaubende Marchese einen Vorwand, den jungen Fabrizzio nach Grianta heimzurufen. Die Contessa strafte ihren Bruder mit überlegener Verachtung. In ihren Augen war er ein jämmerlicher Trottel und aller Schandtaten fähig,falls er je die Macht dazu gewänne. In Fabrizzio dagegen war sie vernarrt. Nach zehnjährigem Schweigen schrieb sie an den Marchese und forderte ihren Neffen zurück. Ihr Brief blieb ohne Antwort.
    Als Fabrizzio wieder in das düstere Schloß kam, das die kriegerischsten seiner Ahnen erbaut hatten, verstand er von nichts auf der Welt etwas als vom Reiten und Exerzieren. Graf Pietranera, der in den Jungen ebenso vernarrt war wie seine Frau, hatte ihn manchmal auf ein Pferd gesetzt und zum Dienst mitgenommen.
    Bei seiner Ankunft im Schloß Grianta waren Fabrizzios Augen noch ganz rot von den Tränen, die er beim Scheiden aus den schönen Gemächern seiner Tante vergossen hatte. Seine Mutter und seine Schwestern empfingen ihn mit leidenschaftlichen Liebkosungen. Der Marchese hatte sich mit seinem ältesten Sohne, dem Marchesino Ascanio, in sein Arbeitszimmer eingeschlossen. Dort fertigten die beiden Geheimbriefe an, die die Ehre hatten, nach Wien zu gehen. Vater und Sohn erschienen nur zu den Mahlzeiten. Der Marchese pflegte mit Betonung zu sagen, er unterrichte seinen natürlichen Nachfolger in der doppelten Buchführung über die Erträge seiner Landgüter. In Wirklichkeit war er viel zu eifersüchtig auf seine Macht, als daß er einen Sohn und notwendigen Erben aller seiner Besitztümer in derlei eingeweiht hätte. Er gebrauchte ihn dazu, Berichte von fünfzehn bis zwanzig Seiten zu chiffrieren, die er zwei- oder dreimal wöchentlich nach der Schweiz schmuggelte, von wo aus sie nach Wien gelangten. Der Marchese vermeinte, seinen rechtmäßigen Herrscher über die Zustände im Königreich Italien, von denen er selber keine Ahnung hatte, auf dem laufenden zu halten. Gleichwohl hatten seine Berichte viel Erfolg. Das kam so: Der Marchese ließ auf den Heerstraßen durch irgendeinen sicheren Beauftragten die Zahl der Soldaten aller französischen oder italienischen Regimenter feststellen, die ihre Standorte wechselten, und wenn er dem Wiener Hof darüber berichtete,so verheimlichte er sorglich ein reichliches Viertel der zur Zeit vorhandenen Truppen. Diese auch sonst lächerlichen Schreiben hatten den Vorzug, andere, genauere Berichte Lügen zu strafen. Deshalb gefielen sie. Und so hatte der Marchese, wenige Tage vor Fabrizzios Ankunft im Schloß, das Großkreuz eines hochgeschätzten Ordens bekommen. Es war der fünfte, der seinen Kammerherrnrock zierte. Zwar wagte er zu seinem Leidwesen nicht, in dem Rock außerhalb seines Zimmers umherzustolzieren, aber er erlaubte sich nie einen Bericht zu diktieren, ohne den bestickten, mit allen seinen Orden geschmückten Rock angelegt zu haben. Er hätte es für Mangel an Ehrerbietung gehalten, wenn er anders gehandelt hätte.
    Die Marchesa war über die liebenswürdigen Eigenschaften ihres Sohnes entzückt. Nun hatte sie die Gewohnheit bewahrt, zwei- oder dreimal im Jahr mit dem General Grafen von A. Briefe zu wechseln; so hieß jetzt jener Leutnant Robert. Voller Abscheu davor, Menschen, die sie liebte, zu belügen, fragte sie ihren Sohn aus und war über seine Unwissenheit entsetzt.
    ›Wenn er schon mir, die ich selber nichts weiß, ungebildet vorkommt,‹ sagte sie sich, ›so wird Robert, der so Wohlunterrichtete, seine Erziehung ganz mangelhaft finden. Und heutzutage muß man etwas taugen.‹ Eine andere Eigentümlichkeit Fabrizzios setzte sie fast ebenso in Erstaunen. Er nahm alle kirchlichen Dinge, die man ihm bei den Jesuiten beigebracht hatte, für Ernst. Obgleich selbst sehr fromm, erschrak sie doch vor dem Glaubenseifer des Kindes. Sie sagte sich: ›Wenn der Marchese Geist genug hätte, diese schwache Seite herauszufinden, so könnte er mir die Liebe meines Sohnes abspenstig machen.‹ Sie weinte viel, und ihre leidenschaftliche Schwäche für Fabrizzio wuchs dadurch noch mehr.
    Das Leben in dem Schloß, das dreißig bis vierzig Dienstboten bevölkerten, war recht traurig. Daher verbrachte Fabrizzio den ganzen Tag auf
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