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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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zurückzukehren.
    Mit Giovannis Notizbuch kniete ich mich vor den brennenden Athanor, riss die Seite mit seiner Skizze der beiden Liebenden heraus, zerriss das Bild von Guido und mir in inniger Umarmung in zwei Teile und warf sie ins Feuer. Dann wartete ich. Stundenlang.
    Gegen Abend schickte Cesare Micheletto zu mir mit einer Einladung zum Abendessen: Er fühle sich so wohl, dass er zum ersten Mal seit Tagen das Bett verlassen könne. Ich hätte am liebsten abgelehnt, weil ich das Laboratorium nicht mehr verlassen wollte, aber dann ging ich doch zu ihm.
    Das Essen war hervorragend, der Wein berauschend. Cesare war in einer euphorischen Stimmung – eine der Nebenwirkungen des Aurum potabile. Es ging ihm viel besser: Das Fieber war gesunken, das Zittern seiner Hände und die furchtbaren Schmerzen hatten aufgehört.
    Wir genossen die Gegenwart des anderen und schenkten uns einen schönen Abend – als ahnten wir beide, dass es unser letzter sein würde.

    In den frühen Morgenstunden geschah das Wunder! Die Materie in der hermetischen Phiole, die während der Separatio die Farbe von Blut hatte, die während der Mortificatio schwarz wie verbrannte Asche gewesen war, wurde hell und klar wie Wasser. Wie die gelöste Prima Materia, aus der ich das al-Iksir tingiert hatte.
    Ich hatte das Elixier gefunden! Die Katharsis war beendet.
    Ich kann nicht in Worte fassen, was ich in diesem Augenblick fühlte – sie wären ähnlich farblos und unscheinbar gewesen wie das Elixirium in der Phiole. Ein Chaos von Gefühlen tobte in mir.
    Weinend kroch ich zum Athanor – ich hatte nicht mehr die Kraft aufzustehen. Ich hob die heiße Phiole aus ihrer Verankerung heraus, um sie auf dem Steinboden abkühlen zu lassen.
    Dann ließ ich mich auf den Boden sinken und starrte sie an.
    Ich fühlte mich unbeschreiblich leicht, nicht nur wegen der Dosis ha-Our, die ich wenige Stunden zuvor genommen hatte.
    O Gott, es war vollbracht!
    Als ich nicht länger warten wollte, richtete ich mich auf, ergriff die Phiole, zerbrach den hermetischen Verschluss und trank gierig die wenigen Schlucke der immer noch heißen Flüssigkeit.
    Dann legte ich mich auf den Boden, schloss die Augen und wartete auf meine Auferstehung.

    Als die Sonne aufging, erwachte ich in ein neues Leben hinein. So kam es mir vor, als ich mich noch ganz benommen von den Nebenwirkungen des al-Iksir aufsetzte. Alles war irgendwie … anders. Die Wirklichkeit war so sichtbar, hörbar, fühlbar, so gegenwärtig, die Farben waren heller und strahlender als zuvor, die Geräusche klarer, dass ich noch einmal die Augen schließen musste, weil ich dachte, ich hätte eine Vision. Aber es war kein sinnlicher Rausch des verklärten Verstandes wie nach der Einnahme von Opium. Nein, da war noch etwas anderes, jenseits des Sehens, des Hörens und des Fühlens. Gott?
    Gott, der Große Alchemist, hat sein Werk an mir vollbracht. Er hat mich geprüft wie ein Stück Materie, die im Feuer des Athanors erhitzt wird, um alles Überflüssige wegzubrennen, das Weiche, das Nachgiebige herauszuschmelzen, um sie durch Schläge zu formen, um sie härter zu machen. Der Große Alchemist quälte seine Materie durch zehn grausame Transmutationen hindurch, ertränkte sie in Gefühlen, verbrannte sie in einem vernichtenden Feuer aus Selbstzweifeln, trennte sie immer wieder von allem, woran sie sich festhielt, weil sie es für einen Teil von sich selbst hielt, und ließ sie immer wieder wie Phoenix aus der eigenen Asche zum Himmel aufsteigen, damit sie von dort aus eigenem freien Willen den Weg zurück ins Feuer fand, um am Ende das werden zu können, was sie war, was sie ist, was sie immer sein wird. Um bereit zu werden für … ja, wofür? Gott hat sich mit seinen Schlägen, die mich formen sollten, nie zurückgehalten. Wie oft habe ich Ihn deshalb verflucht – aber ich habe Ihn nicht angefleht, mich zu verschonen. Doch an diesem Tag dankte ich Ihm für seine Erbarmungslosigkeit, denn ich hatte überlebt. Und Er hatte mir das Kostbarste geschenkt, was ein Mensch besitzen kann.
    Nicht vergänglichen Ruhm, nicht Macht, nicht Reichtum, sondern:
    Zeit – unendlich viel Zeit! Etwas Wertvolleres gibt es nicht.

    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mit geschlossenen Augen auf dem Boden lag. Doch schließlich erhob ich mich und begann, das Laboratorium aufzuräumen, das Chaos der letzten Tage zu beseitigen, die Bücher zu schließen.
    Ich musste nachdenken, Ordnung in das Chaos meiner Gedanken bringen. Während des
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