Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
Ultraschalluntersuchung vor. „Sie sind schwanger, ich gratuliere“, verkündete ihr Arzt beim Blick auf den Monitor. „Man kann die ersten Konturen des Fötus bereits erkennen. Wollen Sie mal sehen?“
Verena wollte nichts sehen, so geschockt war sie. Vor Jahren hätte sie sich gefreut. Sie hatte sich sehnlichst ein Kind gewünscht, doch Franz wollte keine Kinder. Nachdem er sich wegen einer jüngeren Frau von ihr getrennt hatte, war er doch noch Vater geworden. Das hatte sie noch mehr verletzt als die Trennung selbst. Das Gefühl, um ein wichtiges Stück ihres Lebensglücks betrogen worden zu sein, hatte sie bis heute nicht verlassen, auch wenn sie ihren Kinderwunsch damals tief in ihrem Inneren vergraben und nie mehr hervorgeholt hatte. Und jetzt war sie doch noch schwanger geworden. Doch Freude wollte sich nicht einstellen. Vielmehr machte sich eine ungute Mischung aus Unbehagen und Angst bemerkbar. Wie würde Jürgen reagieren? Er war Anfang fünfzig und Vater eines erwachsenen Sohnes.
„Als Spätgebärende müssen Sie vorsichtig sein, ganz besonders in den ersten Wochen. Es kann zu Komplikationen kommen. Die Symptome, die Sie geschildert haben, sind Warnsignale“, hörte sie den Arzt wie aus weiter Ferne sagen. Er wandte sich seinem Computer zu. „Ich schreibe Ihnen eine Krankmeldung. Zunächst für drei Wochen. Keinerlei Stress bitte, Sie brauchen jetzt Ruhe und sollten tagsüber viel liegen. Sport bitte nur in Maßen, am besten nur Spaziergänge. In drei Wochen möchte ich Sie wieder sehen. Falls Komplikationen auftreten, Blutungen, Unterleibsschmerzen oder andere Beschwerden, kommen Sie sofort vorbei.“
Verena hörte nur halb hin. Tausend Gedanken auf einmal schossen ihr durch den Kopf. Ihr ganzes Leben wurde in diesem Moment auf den Kopf gestellt.
Der Drucker spuckte die Krankmeldung aus. „Damit gehen Sie gleich zu Ihrem Arbeitgeber und danach nach Hause. Ständiges Liegen ist nicht notwendig, aber wie bereits gesagt viel Ruhe. Aufregungen sind Gift für Sie.“
Endlich fand sie die Sprache wieder. „Aber das geht doch nicht. Ich leite die Ermittlungen in den Mordfällen Wächter und Baumgart. Ich muss …“
Der Arzt ließ sie nicht ausreden. „Das ist mir bekannt, ich lese die Zeitung. Sie müssen sich entscheiden, Frau Hauser. Wollen Sie einen Mörder überführen oder ein gesundes Kind zur Welt bringen? Beides unter einen Hut zu bringen, halte ich in Ihrem Fall für schwierig, um nicht zu sagen aussichtslos. Wie gesagt, Sie sind Spätgebärende und die Symptome sprechen für Komplikationen.“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Als Verena die Praxis verließ, war sie wie benebelt. Noch immer konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Anstatt die U-Bahn zu ihrem Büro zu nehmen, nahm sie ein Taxi nach Hemmingen. Unterwegs versuchte sie übers Handy Dagmar zu erreichen. Ihre Freundin machte Einkäufe, im Hintergrund waren Musik und Stimmengewirr zu hören. Sie versprach in einer halben Stunde zu Hause zu sein. Das Wetter war angenehm, um die zwanzig Grad, also setzte sich Verena auf die Eingangstreppe. Als sie die kalten Steine spürte, stand sie wieder auf. Könnte das Sitzen auf den Steinen dem werdenden Kind in ihr schaden? Sie wusste fast nichts übers Kinderkriegen. Noch heute Nachmittag würde sie sich einen Ratgeber für Schwangere besorgen.
Wenig später fuhr Dagmar mit ihrem roten Polo auf das Grundstück. Sie sah abgehetzt aus. „Puh, ein Stress ist das heute. Ich war auf der Mülldeponie, es war wie immer berstend voll. Nirgends sind die Hannoveraner so dynamisch und motiviert wie auf der Mülldeponie. Hast du mal darauf geachtet, wie zufrieden sie aussehen, wenn sie hin und her rennen, um ihren Abfall in den richtigen Behälter zu bringen? Vermutlich gibt es das sonst nirgends auf der Welt, Menschen, die happy sind, wenn sie ihren Müll nach exakten Vorgaben beseitigen können. Kein Wunder, dass die deutschen Allüren den anderen auf den Sack gehen! Aber komm herein. Was führt dich überhaupt um diese Zeit zu mir? Musst du nicht hinter Verbrechern herjagen? Oder habt ihr den Doppelmörder geschnappt?“ Sie führte Verena in die Küche. „Kaffee oder Tee?“, fragte sie, während sie ihre Handtasche in die Ecke pfefferte. Kaffee ist vermutlich nicht gut in meinem Zustand, dachte Verena. Sie bat um Kräutertee. Dagmar beäugte sie neugierig. „Kräutertee? Den trinkst du doch sonst nie. Du bist doch nicht etwa krank? Nun erzähl schon.“
Ihre Freundin reagierte auf Verenas
Weitere Kostenlose Bücher