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Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide

Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide

Titel: Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Autoren: Rick Riordan
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Würdet ihr mir bitte folgen?«
    »Klar«, meinte Sadie, ihre Stimme klang ein bisschen erstickt.
    »Moment mal«, sagte ich. »Wohin gehen wir?«
    Anubis deutete hinter sich, in der Luft öffnete sich eine Tür – ein makelloses schwarzes Rechteck. »Jemand möchte euch sehen.«
    Sadie nahm seine Hand und ging durch die Dunkelheit, es blieb mir also nichts anderes übrig, als ihnen hinterherzulaufen.
    Die Halle der beiden Wahrheiten war renoviert worden. Die goldene Waage bestimmte noch immer den Raum, aber sie war nicht mehr kaputt. Die schwarzen Säulen schienen auf allen vier Seiten endlos in die Düsternis hineinzureichen. Jetzt konnte auch ich die Überlagerung erkennen – das seltsame holografische Bild der realen Welt – und es war kein Friedhof mehr, wie Sadie es beschrieben hatte. Es war ein weißes Wohnzimmer mit hohen Decken und großen Panoramafenstern. Doppeltüren führten auf eine Terrasse, von der man einen Ausblick aufs Meer hatte.
    Mir verschlug es die Sprache. Ich sah zu Sadie, und ihrem erschrockenen Gesicht nach zu urteilen, erkannte sie den Ort ebenfalls: Es war unser Haus in Los Angeles, in den Bergen über dem Pazifik – der letzte Ort, an dem wir als Familie zusammengewohnt hatten.
    »Die Halle der beiden Wahrheiten funktioniert intuitiv«, erklärte eine vertraute Stimme. »Sie reagiert auf starke Erinnerungen.«
    Erst da fiel mir auf, dass der Thron nicht mehr leer war. Unser Vater saß darauf, mit Ammit der Verschlingerin zu seinen Füßen. Fast wäre ich zu ihm gerannt, doch etwas hielt mich zurück. In vieler Hinsicht sah er unverändert aus – der lange braune Mantel, der zerknitterte Anzug und die staubigen Stiefel, sein Kopf war frisch rasiert und sein Bart gestutzt. Seine Augen strahlten auf die Art, wie sie strahlten, wenn er stolz auf mich war.
    Doch seine Gestalt schimmerte in einem merkwürdigen Licht. Mir wurde klar, dass er genau wie der Raum in zwei Welten gleichzeitig existierte. Ich konzentrierte mich und konnte plötzlich eine tiefere Schicht der Duat erkennen.
    Dad war noch immer dort, allerdings größer und kräftiger. Er trug die Gewänder und Juwelen eines ägyptischen Pharaos. Seine Haut war so dunkelblau wie der tiefe Ozean.
    Anubis ging zum Thron und stellte sich neben ihn, Sadie und ich waren ein bisschen vorsichtiger.
    »Na, kommt schon«, sagte Dad. »Ich beiße nicht.«
    Ammit die Verschlingerin knurrte, als wir näher kamen, doch Dad streichelte ihren Kopf und gab ihr ein Zeichen, still zu sein. »Das sind meine Kinder, Ammit. Benimm dich.«
    »D-Dad?«, stammelte ich.
    Mal ganz ehrlich: Obwohl seit dem Kampf mit Seth Wochen vergangen waren, obwohl ich die ganze Zeit damit beschäftigt gewesen war, die Villa wieder in Ordnung zu bringen, hatte ich nicht eine Minute aufgehört, an Dad zu denken. Jedes Mal, wenn ich ein Bild in der Bibliothek sah, dachte ich an die Geschichten, die er mir immer erzählt hatte. Ich bewahrte meine Kleider in einem Koffer in meinem Kleiderschrank auf, weil ich die Vorstellung nicht ertrug, dass unser Vagabundenleben zu Ende sein sollte. Manchmal fehlte er mir so sehr, dass ich mich umdrehte, um ihm etwas zu erzählen, bis mir dann wieder einfiel, dass er tot war. Trotz alldem und den ganzen Gefühlen, die in mir hochkochten, war alles, was ich herausbrachte: »Du bist ja blau.«
    Das Lachen von Dad war normal, so sehr, dass es die Anspannung löste. Das Lachen hallte durch den Raum und selbst Anubis konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
    »Liegt an der Umgebung«, erklärte Dad. »Tut mir leid, dass ich euch nicht schon früher hergeholt habe, aber es war alles ziemlich …« Er sah hilfesuchend zu Anubis.
    »Kompliziert«, schlug Anubis vor.
    »Kompliziert. Ich wollte euch beiden sagen, wie stolz ich auf euch bin, wie sehr die Götter in eurer Schuld stehen –«
    »Moment«, unterbrach ihn Sadie. Sie stapfte auf den Thron zu. Ammit knurrte sie an, aber Sadie knurrte zurück, was das Ungeheuer dermaßen verwirrte, dass es Ruhe gab.
    »Was bist du?«, wollte sie wissen. »Mein Dad? Osiris? Lebst du überhaupt?«
    Dad sah zu Anubis. »Was hab ich dir über sie erzählt? Grimmiger als Ammit, oder?«
    »Da erzählst du mir nichts Neues.« Anubis sah ernst aus. »Diese scharfe Zunge hab ich fürchten gelernt.«
    Sadie schaute ihn empört an. »Wie?«
    »Um deine Frage zu beantworten«, sagte Dad, »ich bin sowohl Osiris als auch Julius Kane. Ich bin tot und lebendig, obwohl der Begriff ›wiederverwertet‹ der Wahrheit
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