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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit
Autoren: Susanne Kliem
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hat er einen Riss in der Schädeldecke.«
     
    »Kein Wort darüber«, sagte Zagrosek. Blessing und er näherten sich den mutmaßlichen Angehörigen, die sich als Wolf und Gesa Hendricks vorstellten.
    »Die Identität des Toten wird sich erst durch die Obduktion sicher feststellen lassen«, sagte Zagrosek.
    »Sie befürchten, es ist Ihr Vater?«, fragte Blessing die zierliche Frau von Anfang Dreißig. »Wann haben Sie bemerkt, dass er verschwunden ist?«
    Gesa Hendricks sah Blessing an, aber die Frage schien sie nicht mitbekommen zu haben.
    Wolf Hendricks legte den Arm um seine Frau. »Erst als die Sirenen der Feuerwehr losgingen«, antwortete er für sie. »Wir sind wach geworden und nach draußen gelaufen. Wir alle, bis auf unseren Sohn, Felix. Mein Schwiegervater war nicht im Haus.«
    Zagrosek hatte den Eindruck, dass Gesa Hendricks unter Schock stand. Sie wirkte abwesend. Ihr Blick irrte umher. Nur in eine Richtung sah sie nie: zu dem Mann, der mit abweisendem Gesichtsausdruck etwas entfernt von ihnen stand.
    »Wer ist das da drüben?«, fragte Zagrosek und nickte in die Richtung des Mannes.
    »Graupner«, sagte Wolf Hendricks mit heiserer Stimme. »Herbert Graupner. Er hat die Feuerwehr angerufen.«
    »Können wir bei Ihnen zuhause weiter reden?«, fragte Zagrosek. »Wie weit ist das entfernt?«
    »Etwa fünf Minuten von hier«, sagte Wolf Hendricks.
    »Dann nehmen wir unseren Wagen. Meine Kollegin führt Sie hin; ich komme sofort nach.«
    Zagrosek ging auf Herbert Graupner zu. »Mein Name ist Tom Zagrosek, Kripo Düsseldorf.«
    »Wenn ich geahnt hätte, was ich mir einbrocke . . . Ich stehe hier seit einer halben Stunde und hole mir den Tod. Eine Unverschämtheit ist das!«
    Unter Graupners Mantel schauten die Beine einer Schlafanzughose heraus. Er trug Gummistiefel. Seine Füße mussten sich wie Eisklumpen anfühlen, genau wie die Zagroseks.
    Zagrosek entschuldigte sich für die Umstände und schickte Graupner nach Hause. »Meine Kollegin und ich kommen etwas später noch zu Ihnen.«
    Zagrosek lief zu seinem Wagen, während Graupner zu Fuß hinter den verkohlten Bäumen verschwand.
     
    Das Anwesen der Familien Verhoeven und Hendricks lag zwischen weiteren Weihnachtsbaumkulturen. In der Einfahrt sprangen Lichter von Bewegungsmeldern an. Die Vorderfront des Wohnhauses mit einer wuchtigen, kassettenartig verzierten Haustür war von einem gepflegten Garten umgeben. Büsche standen in geraden Reihen, als hätte jemand mit dem Lineal die Abstände nachgemessen.
    Soweit Zagrosek es im Dunkeln erkennen konnte, wirkte der Nachbarhof dagegen vernachlässigt. Putz bröckelte von der Außenmauer, und Kletterpflanzen wucherten die Toreinfahrt zu.
    »Ist das Anwesen da bewohnt?«, fragte Zagrosek.
    »Ja«, sagte Wolf Hendricks. »Man soll’s nicht glauben, so wie’s da aussieht. Gehört Familie Martini.«
    Zagrosek bog in Wolf Hendricks’ Hof ein und parkte. In rechtem Winkel zum Wohnhaus lag ein Wirtschaftsgebäude, davor waren Weihnachtsbäume aufgestellt. Viele steckten abholbereit in Netzen, andere standen frei und zeigten ihren Wuchs. Im Erdgeschoss des Wohntrakts brannte Licht. Eine Tür wurde geöffnet und eine ältere Frau trat auf die Schwelle, sah ihnen entgegen, beschienen von dem Strahler über der Hoftür. Sie trug einen Mantel offen über einem Nachthemd. Über ihr, in dem Lichtkegel, blitzten weiße Pünktchen auf. Winzige Schneeflocken wirbelten umher.
    Anna Verhoeven führte sie in die Küche, in der ein Holztisch Platz für acht Leute bot. Zagrosek und Blessing saßen auf einer Bank an der holzgetäfelten Wand. Über einem antiquiert wirkenden Gasherd hingen Töpfe und Pfannen aus Kupfer und Messing. Sie glänzten poliert, und Zagrosek fragte sich, ob sie benutzt wurden oder nur noch als Dekoration dienten.
    Die Heizung war abgestellt, doch Wolf Hendricks hatte einen Heizlüfter herein gebracht, der heiße Luft gegen Zagroseks Beine blies.
    Zagroseks Großvater hatte einen Bauernhof in der Eifel besessen, und Zagrosek erinnerte sich, dass die Küche der Mittelpunkt des Hauses gewesen war, der Ort, an dem die Familie gemeinsam aß oder kurze Pausen vom Tagewerk machte. Das Wohnzimmer hatten die Großeltern nur Weihnachten, Ostern und zu runden Geburtstagen genutzt, aber einmal in der Woche hatte seine Oma die kostbare Schrankwand entstaubt.
    Hier, auf dem Hof der Verhoevens, hatte moderne Technik Einzug gehalten: In der Ecke, wo früher vielleicht eine Marienfigur verehrt worden war, hing ein Fernseher
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