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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit
Autoren: Susanne Kliem
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Tannenkultur, auf seinem Grund und Boden, mitten in der Nacht? Konrad richtete den Lichtstrahl auf das Nummerschild, las das Düsseldorfer Kennzeichen, dann sah er in das Innere des Wagens. Auf der Beifahrerseite lag Müll, zerknüllte Papiertüten und Pappbecher.
    Konrad leuchtete die Umgebung ab. Nichts. Kein Mensch zu sehen. Er inspizierte das Tor. Es war offen.
    Er lief innen am Zaun entlang, schnappte vor Aufregung nach Luft. Es stach schmerzhaft in der Nierengegend. Nur langsam, nur vorsichtig! Er hielt sich die Seite, stand leicht vorn übergebeugt und wartete, bis sich sein Atem beruhigt hatte. Er knipste die Taschenlampe aus und horchte. Der Wind. Das Gras raschelte. Den ganzen Herbst über war kaum Regen gefallen. Den Tannen schien es noch nicht geschadet zu haben, ihre Nadeln waren saftig grün.
    Zwischen den Bäumen blitzte ein Lichtstrahl auf. Konrad erstarrte. Das Licht verschwand, tauchte an anderer Stelle wieder auf. Kein Zweifel, jemand bewegte sich in seine Richtung.
    Konrad versteckte sich hinter den dichten Ästen einer Tanne. Wenn der Kerl auf seiner Höhe war, würde er hervorspringen und ihn sich greifen.
    Der Fremde kam näher. Konrad konnte nur seine Umrisse erahnen. Der Fremde keuchte leise. Er trug etwas in der rechten Hand, einen viereckigen, offenbar schweren Gegenstand. Ein Sprung, und Konrad könnte sich den Burschen schnappen. Doch die Angst lähmte ihn. Er war nicht stark genug für einen Zweikampf mit einem vermutlich viel jüngeren Mann. Außerdem wollte er wissen, was der Fremde hier vorhatte. Konrad ließ ihn passieren, gab ihm zehn Sekunden Vorsprung, dann nahm er die Verfolgung auf.
    Der Fremde blieb stehen und sprach leise vor sich hin.
    Konrad verstand nur Wortfetzen, nahm aber einen Akzent wahr, wie er ihn von den polnischen Saisonarbeitern kannte, die jedes Jahr bei der Weihnachtsbaumernte halfen.
    ». . . schon, dass es geht . . . trocken wie die Fotze meiner Alten . . . Von Westen . . . Ja, ich mache . . . wo Sie gesagt haben.« Dann Stille.
    Konrad sah ein Handydisplay aufleuchten. Der Pole lief weiter, erreichte die Stirnseite der Kultur, nahm seinen Rucksack ab, kramte darin. Er hantierte mit dem viereckigen Gegenstand und bewegte sich dabei langsam seitwärts. Konrad hörte ein Plätschern. In dem Augenblick, in dem Konrad den Benzingeruch roch, sprang der Pole zurück. Flammen loderten empor. Das Feuer breitete sich aus, griff nach dem trockenen Gras. Der Wind trieb die Flammen in die Tannen hinein! Schon züngelten die Flammen um die unteren Zweige der ersten Baumreihe.
    Konrad konnte den Polen nicht mehr sehen, der Rauch trennte sie wie eine Mauer. Konrad scherte zur Seite aus und lief am Zaun entlang, bis er hinter die Feuerzone gelangte. Gras und Reisig am Boden nährten die Flammen. Die erste Reihe der Nordmanntannen hielt lange den heißen Rauchgasen stand, dann entflammten die Nadeln der Bäume fast gleichzeitig, es sah aus, als zündeten sie durch wie Streichhölzer. Nach Sekunden standen nur noch die nackten Gerippe aus Stämmen und Ästen, und die Flammen sprangen auf die nächste Baumreihe über.
    Dicht an den Zaun gedrückt, näherte sich Konrad dem Polen, der gebannt sein Werk der Zerstörung betrachtete. Die Luft erhitzte sich, doch von Westen blies kalt der Wind. Konrad lief der Schweiß herunter, gleichzeitig fror er. Er würde sich hier den Tod holen. Den Tod! Fast hätte er gelacht, doch aus seiner Kehle entwich nur ein Keuchen. Der Pole fuhr herum, bemerkte ihn und blickte gehetzt um sich. Dann floh er in die einzige Richtung, die ihm blieb, rannte und stolperte, von Konrad weg, am Zaun entlang. Konrad verfolgte ihn. Der Pole hatte das Ende der Stirnseite erreicht und folgte dem Knick des Zauns nach Osten. Manchmal blickte er über die Schulter. Konrad holte nicht auf, fiel aber auch nicht zurück.
    Plötzlich war der Pole weg. Er musste in die Kultur hineingelaufen sein, versteckte sich vor Konrad zwischen den Bäumen. Auch Konrad kämpfte sich durch die Tannen. Er stolperte über Steine und Grashügel, ritzte sich die Haut an den Dornen des Brombeerdickichts. Wo war der Pole geblieben? Ein paar Meter irrte Konrad wie blind weiter. Da! Da! Ein schwarzer Umriss. Er würde den Kerl nicht einholen. Der andere war flinker als er. Doch nun blieb der Pole stehen und blickte um sich, als suche er etwas. Ein silbernes Rechteck schimmerte zwischen den Grashalmen, nur einen Meter von Konrad entfernt. Er bückte sich danach. Das Handy! Der Pole hatte es
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