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Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.

Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.

Titel: Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
Autoren: Bernd Schneidmüller
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Kaisertitel ein. In der Übertragung des Kaisertums
(Translatio imperii)
auf die Franken und dann auf die Deutschen entwickelte das Mittelalter dafür ein Verstehensmodell. Es ließ das Römerreich in der biblischen Tradition des Buches Daniel zum letzten der vier irdischen Weltreiche werden. Für den Bestand der Christenheit fiel damit dem römischen Kaisertum als dem Schutzherrn der römischen Kirche heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Ausdruck fand dieses Selbstbewusstsein in der Bezeichnung «Heiliges Reich» (seit 1157).
    Römisches Kaisertum und deutsche Geschichte:
Das Kaisertum blieb seit 962 dauerhaft mit dem ostfränkisch-deutschen Königtum verknüpft. Die Könige entstammten in der Regel Fürsten- und Grafenfamilien aus dem Reich zwischen Nordsee und Alpen. Mit Ausnahme der Doppelwahl von 1257 wurden die Thronkandidaturen anderer Könige und Fürsten vergeblich betrieben. Die beständige Aussicht auf kaiserliche Herrschaft veränderte Monarchie und Reichsgeschichte. Seit dem 11. Jahrhundert nannten sich die Herrscher nach ihrer Königswahl «König der Römer», ein Erwartungstitel auf die höhere Würde des Kaisertums. Bei der Entstehung des ostfränkischen Reichs im Zerfall des fränkischen Großreichs entwickelte sich das Miteinander von Königtum und Adelsverbänden zum Katalysatorder Identitätsbildung. In einem langen Prozess vollzog sich über den Völkern der Franken, Sachsen, Bayern, Alemannen und Lothringer die deutsche Nationsbildung. Sie erfuhr ihre Gemeinschaft vor allem aus dem Kaisertum ihrer Könige, aus Triumphen in Italien und ganz Europa, aus imperialen Ansprüchen auf Vorrang in der Welt, aus der Nähe zur römischen Kirche.
    Im 11. Jahrhundert verwob das Annolied die Ethnogenese der Deutschen mit ihrer angeblichen Beteiligung bei der Begründung des antiken Kaisertums unter Caesar. Zur Jahrtausendwende schrieb Gerbert von Aurillac begeistert an Otto III.: «Unser, unser ist das römische Reich!» Aus solchen Überzeugungen erwuchs der mittelalterliche Anspruch, das Kaisertum stehe allein den Deutschen zu. Die Unterschiede von König- und Kaisertum beschrieb der Sachsenspiegel im 13. Jahrhundert: «Die Deutschen sollen rechtmäßig den König wählen. Wenn dieser geweiht wird von den dazu eingesetzten Bischöfen und auf den Thron zu Aachen gesetzt wird, so hat er die königliche Gewalt und den königlichen Namen. Wenn ihn der Papst weiht, so hat er die Reichsgewalt und den kaiserlichen Namen.» Der Kaiser, so schrieb der Italiener Marinus von Fregeno 1479, herrsche in Deutschland und im ganzen Okzident. Das wirke sich auf die Ordnung von Imperium und Nation aus.
    Die gesteigerte Königsherrschaft sicherte den Kaisern ein besonderes Potential. Drei Reiche verbanden sich in ihrem Imperium: Ostfranken-Deutschland, Italien und Burgund. Bis ins Spätmittelalter überstrahlte diese Mehrzahl der Kronen andere Monarchien. Der universale Anspruch und der Zugriff auf Rom als «Haupt der Welt»
(caput mundi)
führten aber nicht zu jener Nationalisierung des Reichs, wie sie die europäischen Nachbarn erlebten. Gerade in der Auseinandersetzung mit der kaiserlichen Universalität entdeckten die europäischen Könige und Völker die eigene Würde und Selbstständigkeit. Seit dem 12. Jahrhundert wurde der deutsche Geltungsanspruch mit scharfen Worten in Frage gestellt. Zunehmende Begegnungen in der mobileren Welt des Hoch- und Spätmittelalters brachten Emotionen und intellektuelle Auseinandersetzungen hervor. Stereotype Bilder erzählten von kaiserlicher Tyrannei und deutscher Barbarei. Immerwieder setzten sich die Völker mit dem Imperium als vermeintlicher Ordnungsmacht auseinander. Franzosen, Engländer oder Italiener nivellierten die Kaiser als «deutsche Kaiser» schließlich in die Gleichrangigkeit europäischer Herrscher.
    Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Unterschiede hatten längst ein Europa der vielen Geschwindigkeiten entstehen lassen. Mit den Modernisierungsschüben in West- und Südeuropa konnte das Imperium im Hoch- und Spätmittelalter nicht mehr Schritt halten. Geglaubter Anspruch und politische Handlungsmacht klafften immer deutlicher auseinander. Niemals wurden die Spannungen zwischen römischem Kaisertum und deutscher Geschichte systematisch aufgelöst, weder gedanklich noch politisch. Darum erfuhren die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn sowohl die Chancen als auch die Bürden des Kaisertums. *
    * Für Anregungen und Korrekturen danke ich den Studierenden meiner
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