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Die Känguru Chroniken

Die Känguru Chroniken

Titel: Die Känguru Chroniken
Autoren: Marc-Uwe Kling
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Kleinkünstler, der in billigen Liedchen großspurig vom ›Verein freier Menschen‹ predigt, sich aber zu Hause ’nen Lenz macht und ein Känguru für sich schuften lässt. Seine angeblich lustigen Geschichten sind völlig witzlos,seine Seele ist böse, sein Charakter verdorben, und er hat Pickel am Po!« Ein Link führt zu einem YouTube-Video, in dem ich mich sagen höre:
    »Ich bin dran. Aber ich mach hier // nichts. Ich habe // keine Lust // putz du // Sklave.«
    Mein Sprachduktus scheint mir ein wenig kantiger als normal.
    »Ich fick dich!«, kommentierte der User Ich-fick-alles.
    »Ich finde raus, wo du wohnst!«, kommentierte der Undertaker.
    »Faschist!«, schrieb Alles-Nazis-außer-mir-88.
    Und »Super Video! Kuck mal, hier gibt’s billig Penispumpen«, meinte Penispumpenshop24 dazu.

    Während ich das Bad putze, kommt das Känguru hinzu: »Kann der Druck der öffentlichen Meinung also noch immer etwas bewirken«, sagt es zufrieden.
    »Ach«, sage ich. »Wer die Medien und die Berichterstattung beherrscht, bringt die Leute immer dazu, willig für einen in den Krieg zu ziehen.«
    Das Känguru lächelt erhaben. »Es freut mich jedenfalls, dass du dich deinem Schicksal gefügt hast. Nichts ist peinlicher als ein Verlierer, der nicht merkt, dass er verloren hat.«
    »Ja, ja«, sage ich. »Aber jetzt mal unter uns. Ich habe mir das Video noch mal angekuckt. Der blaue Krug mit den Blumen, den man da auf dem Fensterbrett sieht … Der ist doch schon vor ein paar Monaten zerbrochen.«
    »Selbst wenn!«, sagt das Känguru plötzlich eiskalt. »Das kannst du mir nicht nachweisen.«
    Ich lächle.
    »Zum Glück habe ich vorher diese Kamera hier eingeschaltet«, sage ich und hole das Gerät aus seinem Versteck.
    »Ganz miese Tour …«, sagt das Känguru.
    »Ach weißt du …«, sage ich und drücke dem Känguru den Putzlappen in die Hand. »Nichts ist peinlicher als ein Verlierer, der nicht erkennt, dass er verloren hat.«

»Was machst du da?«, fragt das Känguru.
    Ich halte inne.
    »Siehste doch«, sage ich.
    »Du seilst dich mit Bergsteigerausrüstung vom Balkon ab?«
    »Eben«, sage ich und lasse mich noch ein Stück weiter hinunter.
    »Also gut«, sagt das Känguru. »Ich formuliere meine Frage um: Warum machst du das?«
    »Na, ich will nach unten.«
    »Ach so«, sagt das Känguru.
    Am Balkon der Nachbarin von unten bleibe ich fast an den Blumenkästen hängen. Das Känguru beugt sich über unser Balkongeländer.
    »Verzeih, wenn das Folgende vielleicht sehr dumm ist – aber darf ich fragen, warum du nicht einfach die Treppe benutzt?«
    »Ich will jeden Tag etwas Besonderes machen«, sage ich. »Denn etwas Besonderes a day keeps the blues away. Das ist meine Philosophie.«
    »Ich dachte, deine Philosophie ist, dass du dir vornimmst, nichts zu machen.«
    »Ich habe das noch weiterentwickelt. Jetzt nehme ich mir nicht mal mehr was vor.«
    »Daran gemessen ist diese Aktion aber reichlich extravagant, oder nicht?«
    »Glaubst du etwa, ich habe mir das vorgenommen? Ich lasse mich treiben.«
    »Du hattest also die spontane Eingebung, dich vom Balkon abzuseilen?«, fragt das Känguru.
    »Na und?«, frage ich zurück und lasse mich vorsichtig noch ein Stockwerk hinunter.
    »Und was machst du, wenn du unten bist?«
    »Ich muss aufs Bürgeramt, was beantragen, und dann wollte ich noch kurz in den Supermarkt.«
    »Spannend«, sagt das Känguru.
    »Ja. Aber an heute werden wir uns trotzdem noch lange erinnern. An den Tag, an dem ich mich vom Balkon abseilte.«
    »Um eine Wartenummer zu ziehen und Toilettenpapier zu kaufen«, sagt das Känguru.
    »Und doch wird dieser Tag ein Sieg sein gegen die Tyrannei der Tristesse«, sage ich. »Gegen die Mechanik der Maschine, gegen den Realismus der Routine, gegen die Gleichförmigkeit der Tage.«
    »Bringst du mir Schnapspralinen mit?«, ruft das Känguru, als ich im Hof das Bodenpflaster berühre.
    »So hat jeder seine Mittel und Wege, mit dem Leben klarzukommen«, murmle ich.
    »Was?«, ruft das Känguru von oben.
    »Nix«, schreie ich.
    »Aber nicht die billigen!«, ruft das Känguru.

Wir liegen faul und friedlich im Park, als eine kleine Handtaschenratte direkt neben meinem Ohr stehen bleibt und anfängt uns anzukläffen. Ich öffne die Augen und wedle genervt mit meinem Arm: »Schhhh … Hau ab.«
    Doch nun legt der Köter erst richtig los. Das Känguru steht auf, holt Schwung und kickt den Hund in hohem Bogen über die Liegewiese. Das Tier jault überrascht, fliegt,
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