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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin
Autoren: Joshua Palmatier
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sowohl Frachtkähne Amenkors als auch Schiffe der Chorl, denn diese hatten bei ihrem überhasteten Rückzug, bedrängt von den Gardisten und der Bürgerwehr, einige ihrer Schiffe zurückgelassen. Der Kai selbst war völlig zerstört worden, als die Chorl bis in die Docks vorgedrungen waren.
    Vom Kai zog sich ein sichtbarer Pfad der Verwüstung durch die untere Stadt über die gewundenen Straßen und die Marktplätze bis hin zu den Toren in der Palastmauer. Zahllose Gebäude waren von Feuer verschlungen worden, Steinmauern waren unter der Hitze eingestürzt. Hastig aus Stühlen, Tischen und Krabbenfallen errichtete Barrikaden waren durchbrochen worden. Die Chorl hatten auf ihrem Vormarsch alles zerstört und hätten in ihrem Feuereifer vielleicht die ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht, doch ihr oberstes Ziel war gewesen, den Palast zu erreichen, um die Herrschaft über den Geisterthron an sich zu reißen.
    Beinahe wäre es ihnen gelungen. Die Tore der drei Mauern, die den Palast umschlossen, waren binnen einer Stunde überwunden worden. Die Ochea und die Begabten der Chorl – Adeptinnen wie ich, die den Fluss zu benutzen vermochten – hatten die Tore aufgesprengt. Nur Eryn, die einstige Regentin und meine Vorgängerin auf dem Thron, hatte den Vormarsch des Feindes verlangsamen können, und das auch nur mit meiner Hilfe.
    Ich starrte auf die gezackten Löcher in den drei Mauern hinunter und spürte erneut Eryns verzweifeltes Bemühen, gegen die vereinte Macht der Ochea und ihrer Begabten zu bestehen. Die Begabten hatten ihre Kräfte auf irgendeine uns unbekannte Weise verknüpft, sodass die Macht der Ochea um die ihrer Dienerinnen verstärkt wurde.
    Wir schienen hoffnungslos verloren zu sein, und doch hatten wir am Ende gesiegt.
    Nachdem ich die Ochea getötet und dabei den Thron zerstört hatte, trieben Hauptmann Catrell, Keven und der Rest der Gardisten und Milizionäre die Chorl zurück zu ihren Schiffen und hinaus aufs Meer. Seither waren die Chorl nicht mehr gesichtet worden.
    Auf dem Balkon, der mir einen trostlosen Blick auf die geschwärzten Gebäude und Straßen von Amenkor gewährte, straffte ich die Schultern und verspürte ein Ziehen in der Brust. Wir hatten den Winter überlebt. Die spätwinterliche Ernte konnte in ein paar Wochen eingebracht werden, und die erste Frühlingssaat war bereits gepflanzt. Die Getreidelieferung aus der im Norden gelegenen Stadt Merrell, die man uns zu Beginn des Winters versprochen hatte, war endlich über die tückische Nordstraße eingetroffen. Und der Siel, das Elendsviertel Amenkors, war von den Chorl ebenso verschont geblieben wie die östlichen Teile der Stadt.
    Wir waren verwundet, aber wir lebten noch.
    Ich wusste, dass die Chorl zurückkehren würden. Sie würden ihre Angriffe auf die Küste niemals einstellen: Es war ihnen schlichtweg nicht möglich, denn sie konnten nicht zurück in ihr Heimatland. Ich kannte den Grund dafür: Als die Ochea versucht hatte, die Herrschaft über den Thron an sich zu reißen, hatte ich durch ihre Augen gesehen, wie ihre Heimat zerstört worden war, woraufhin die Chorl sich auf die Boreaite-Inseln abseits der Küste Frigeas zurückgezogen hatten, um sich neu zu formieren und Pläne zu schmieden. Doch siekonnten nicht ewig auf den Inseln bleiben; dafür waren sie zu zahlreich.
    Jetzt aber zählte erst einmal, dass wir den ersten Angriff überstanden hatten.
    Ich warf einen letzten Blick auf die niedergebrannte, von Ruß und Flammen geschwärzte Stadt, während in meinem Verstand bereits erste Pläne reiften. Wir hatten zwei Wochen Zeit gehabt, um die Toten zu verbrennen, zu trauern, aufzuräumen und uns daranzumachen, die Bürger in Selbstverteidigung auszubilden für den Fall, dass die Chorl zurückkehrten. Nun war es an der Zeit, mit dem Wiederaufbau zu beginnen.

    »Nein, nein! Schafft die wiederverwendbaren Steine dort hinüber und stapelt den Rest in der Nebenstraße, damit wir sie später mit Karren transportieren können.« Eine Hand an der Hüfte, schüttelte Avrell den Kopf. Sein anderer Arm ruhte in einer Schlinge vor der Brust. Er hatte sich beim Angriff auf die Mauern an der Schulter verletzt. Als Oberhofmarschall der Regentin beaufsichtigte er die Verwaltung Amenkors, wozu auch der Wiederaufbau der Stadt gehörte.
    Als er meine Eskorte herannahen hörte, drehte er sich um. Seine Haltung wurde steif und förmlich, und fragend zog er eine Augenbraue hoch. Hätte er es gekonnt, hätte er die Hände in den Ärmeln seiner
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