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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition)
Autoren: Oliver Kern
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überlege, hat er vielleicht noch einen zweiten Fehler begangen …« Achterberg fügte eine seiner dramaturgischen Pausen ein, als ob er Daniel die Gelegenheit geben wollte, seine vernebelten Gedanken zu Ende zu denken. »… nämlich den, dass er mir vertraute«, knüpfte er an und lachte lauthals, bevor er fortfuhr: »Ich habe eine Weile für mich behalten, dass Osswalds Biomasse das Beste war, was er in all den Tagen gesammelt hatte. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass ich mir mit diesem Geheimnis einen Vorteil verschaffe. So eine Art Versicherung. Doch je besessener er wurde, desto mehr kam es mir vor, als besitze er die Gabe, in mich hineinzuschauen. Scheiße, ich glaube, mittlerweile ist er in der Lage, Gedanken zu lesen.« Er betrachtete Daniel und schob dabei seine wulstige Unterlippe vor. »Das klingt nicht besonders vernünftig, schon gar nicht aus dem Mund eines Wissenschaftlers, ich weiß. Aber ich sage dir, Junge, in den letzten Tagen hat er mich manchmal mit Blicken durchleuchtet, die ungebremst durch den Schädelknochen direkt in mein Hirn fuhren. Und dann hat er gelesen, Zelle für Zelle, gewissermaßen.« Auch das fand er lustig genug, um sich auf den Schenkel zu klopfen. »Oder weshalb hätte er mich sonst mit dem Stoff kurzgehalten. Damit hat er mich weichgekocht, dieser Dreckskerl, und ich habe gebeichtet, um die Absolution in Schnaps zu erhalten. Amen!« Achterberg beäugte die Flasche in seiner Pranke, als fände er darin die passenden Worte, um weiterzureden. »Da war nichts mehr zu machen«, erklärte er nach einer Phase des Schweigens, in der es viermal donnerte. »Das Fett war verdorben, die Chance vertan. Aber er hat mich nicht umgebracht dafür, dass ich ihn hintergangen habe. Es verschafft ihm unverhohlene Befriedigung, mich weiterhin leiden zu sehen.«
    »Und dann?«, fragte Daniel.
    Er spürte ein Kribbeln in seinen tauben Beinen. Es war keine Einbildung. Sein ruhig gestellter Körper taute nach und nach auf. Noch ein paar Sätze aus dem Mund des Betrunkenen, und er vermochte sich womöglich aufzurichten.
    Achterberg tat ihm den Gefallen. »Ich sage dir, der Herrgott hat es gut gemeint mit dem Teufel. Er sandte ihm die Tochter des Alten, die genetisch gesehen kaum Abweichungen aufweisen konnte und somit als Spenderin prädestiniert war. Die Schlampe, die ihn einst verlassen hat, stand zwanzig Jahre später mir nichts, dir nichts vor der Tür. Kommt zu ihm, direkt in sein Horrorkabinett. Verstehst du das? Da hat er seinen Wink des Schicksals, den Bruno so versessen prophezeite. Gleichwohl war es ein göttlicher Schlag ins Gesicht, denn der Herr im Himmel ist ein hinterhältiger Hund, das ist ja allgemein bekannt. Er macht es seiner unvollkommenen Schöpfung nicht leicht, denn wo bliebe sonst der Unterhaltungswert für den Allgegenwärtigen? So nah am Ziel und doch keinen Schritt weiter, weil die Gute gertenschlank ist. Du hättest Bruno sehen sollen, wie er auf und ab gelaufen ist. Ein Tiger im Käfig ist ein harmloses Kuscheltier dagegen. Er streunte umher, bis ihm diese, ja, man muss schon sagen, teuflische Schnapsidee kam. Er beschließt, sie zu mästen wie ein sechzehnrippiges Zuchtschwein. In hundertfünfzig Tagen zum Schlachtgewicht. Natürlich fehlt ihm die Zeit dazu, und Louise machte auf mich nicht den Eindruck, als fände sie unter den gegebenen Umständen die Muße, sich fett zu fressen, um das Opferlamm zu geben. Bevor er sie also stopfen konnte wie eine französische Mastgans, spuckt sie ihm ins Gesicht und sagt, dass sie adoptiert ist … Ich sehe die Zustimmung in deinen Augen. Was den Humor angeht, muss unser Schöpfer ein Engländer sein. Er lässt Bruno die Adoptionsurkunde finden und nimmt ihm damit jede Hoffnung und den letzten Funken Menschlichkeit. Und wer muss es ausbaden? Du und ich, verfickte Kacke!« Er hielt inne, betrachtete erneut die Flasche in seiner Hand, die noch zu einem Viertel gefüllt war.
    Daniels Blick war jetzt weniger verschwommen. Wenn ein Blitz über den Himmel zuckte und durch den Schacht des Kellerfensters den Raum erhellte, konnte er erkennen, wie kaputt Achterberg war. Kaum vergleichbar mit dem Mann auf dem Video, das er erst vor Kurzem aufgenommen hatte. Innerhalb weniger Tage war er um Jahre gealtert. Sinnbild dieses zerstörten Lebens waren die zahllosen leeren Schnapsflaschen, die um seine ranzige Matratze verstreut lagen.
    »Arthur ist tot«, wechselte Achterberg urplötzlich das Thema. »Er hat es getan, nicht wahr?«
    Daniel
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