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Die Kälte in dir (German Edition)

Die Kälte in dir (German Edition)

Titel: Die Kälte in dir (German Edition)
Autoren: Oliver Kern
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denen der Schweißgeruch nie gänzlich entwich.
    Das Tor hatte er am Abend zuvor offen gelassen. In der Hoffnung, dass nachts ein wenig frischer Wind durch den Innenhof fegen würde. Aber die Morgenluft fühlte sich nicht danach an. Blinzelnd blickte er über das Feld, von dem ihn lediglich der schmale Bewirtschaftungsweg trennte, der zum Hof führte. Im Osten schob sich die Sonne rot glühend einen Fingerbreit über die bewaldete Kuppe des Hagbergs. Mezger pfiff in die morgendliche Stille. Aus der Anpflanzung, die im Westen an das Maisfeld grenzte, antwortete ein Eichelhäher.
    Nur der Hund schlug nicht an.
    »Drecksköter«, fluchte der Bauer und kickte einen Kieselstein über die Straße.
    Wehe dem Hund, er hatte Wild gerissen. Wenn Mezger was nicht gebrauchen konnte, dann erneuten Ärger mit dem Forstwirt. Nachdem ihm dieses Frühjahr schon zwei Rehkitze ins Mähwerk geraten waren, hatte die Jagdaufsicht ein Auge auf ihn.
    Gähnend sah er zum Wald hinüber, aber auch dort tat sich nichts. Er musste den Mais einbringen, bevor der noch mehr vertrocknete. Im Kopf versuchte er zu überschlagen, wann es zum letzten Mal geregnet hatte. Auf jeden Fall viel zu lange nicht. Dazu kam die Hitzewelle, die schon die zweite Woche anhielt. Selbst zu dieser frühen Stunde fühlte er die drückende Wärme. Der wolkenlose Himmel ließ erahnen, dass Mezger auch heute ordentlich schwitzen würde. Erneut pfiff er auf den Fingern, wartete eine halbe Minute und wandte sich dann wieder der Hofeinfahrt zu.
    Im Umdrehen zuckte er zusammen, als wäre er barfuß auf einen Rechen getreten. Der verfilzte Hund stand hinter ihm, hatte sich angeschlichen wie ein feiges Raubtier, das ihn rücklings anfallen wollte. Doch es war nicht das verdreckte Tier, das sein Blut gefrieren ließ. Es war das, was der Köter im Maul trug und ihm in unterwürfiger Hundeart, von einem leisen Winseln begleitet, vor die Gummistiefel legte. Der Bauer taumelte zurück. Die Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, während sich sein Blick nicht von der aufgedunsenen Hand lösen konnte, die an einem bleichen, fauligen Stumpf hing, aus dem ein Stück des Unterarmknochens ragte.
    »Fischer … verdammt!«, fluchte Kristina Reitmeier hinter dem Rücken des Uniformierten, der sich abwandte und ohne erkennbare Reaktion den Flur entlangging. Sie starrte gebannt auf die Speckfalte im Nacken des Leiters der Verkehrsüberwachung, als könne sie den Mann allein durch Willenskraft dazu bewegen, sich wieder nach ihr umzudrehen.
    Seine Sohlen erzeugten ein leises Quietschen auf den matten Steinfliesen. Das einzige Geräusch, das Kristina wahrnahm, während sie fieberhaft nach Argumenten suchte, um ihn noch umzustimmen. Das Schreiben von Fischers Dienststelle zitterte zwischen ihren Fingern. Er hatte ihr soeben deutlich gemacht, dass er ihr Vergehen unmöglich ignorieren konnte. Noch schlimmer, er würde ihren Führerschein, den man vor fünf Tagen an Ort und Stelle eingezogen hatte, bis zum Ende des Verfahrens einbehalten. Sie war eine Gefahr für die allgemeine Verkehrssicherheit und hatte nun drei Monate Zeit, über diesen Vorwurf nachzudenken und im besten Fall zur Einsicht zu gelangen. Das waren seine Worte gewesen.
Neunzig Tage!
    Nein, das durfte nicht sein!
Es musste einen Weg geben. Sie rannte hinter Martin Fischer her und holte ihn ein, bevor er das Treppenhaus erreichte.
    »Hören Sie, Fischer, ohne den Lappen bin ich aufgeschmissen, ich bitte Sie!«, begann sie erneut und wesentlich verzweifelter als noch vor ein paar Minuten. Da hatte sie den Dezernatsleiter im Foyer der Waiblinger Polizeidirektion abgepasst – nachdem am Tag zuvor dieser endgültige Bescheid in ihrem Postfach gelegen hatte –, voller Zuversicht und mit dem charmantesten Lächeln, zu dem sie zu dieser frühen Stunde und unter den gegebenen Umständen fähig war.
    »Sie bitten mich?«, fiel er ihr ins Wort, und sein mächtiger Zinken war plötzlich keinen halben Meter von ihrem Gesicht entfernt. Schweißperlen glänzten auf den rot geäderten Nasenflügeln. Seine Augen waren so grau wie sein kurz geschorenes Haar, das als schmaler Kranz über den Ohren seine Glatze einfasste. Sein Atem roch nach Kaffee. Er trug seine Uniform, das kurzärmlige Hemd hatte bereits nasse Flecken unter den Achseln. »Erinnern Sie sich, als ich Sie vor einem halben Jahr um etwas gebeten habe?«
    Kristina biss sich auf die Unterlippe.
Verdammt!
Sie konnte nicht sagen, ob ihm ihre zögernde Reaktion ein Lächeln abrang oder ob
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