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Die Judenbuche

Die Judenbuche

Titel: Die Judenbuche
Autoren: Annette von Droste-Hülshoff
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gleich nicht re-
    den darf geh !" Friedrich stand unschlüssig; er hörte ein leises Geräusch; die Wolken verzogen
    sich, das Mondlicht fiel wieder auf die Kammertür: sie war geschlossen. Friedrich ging an die-
    sem Morgen nicht zur Beichte.
    Der Eindruck, den dieser Vorfall auf Friedrich gemacht, erlosch leider nur zu bald. Wer zweifelt
    daran, daß Simon alles tat, seinen Adoptivsohn dieselben Wege zu leiten, die er selber ging?
    Und in Friedrich lagen Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbar-
    keit, und vor allem ein grenzenloser Hochmut, der nicht immer den Schein verschmähte und
    dann alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpierten möglicher Beschämung zu ent-
    gehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande der äußern
    vorzuziehen. Man darf nur sagen, er gewöhnte sich zu prunken, während seine Mutter darbte.
    Diese unglückliche Wendung seines Charakters war indessen das Werk mehrerer Jahre, in de-
    nen man bemerkte, daß Margreth immer stiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen
    Zustand der Verkommenheit versank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie
    wurde scheu, saumselig, sogar unordentlich, und manche meinten, ihr Kopf habe gelitten.
    Friedrich ward desto lauter; er versäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein sehr emp-
    findliches Ehrgefühl ihn die geheime Mißbilligung mancher nicht übersehen ließ, war er gleich-
    sam immer unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht sowohl Trotz zu bieten, als sie den
    Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüchtern, anscheinend treuherzig,
    aber listig, prahlerisch und oft roh, ein Mensch, an dem niemand Freude haben konnte, am
    wenigsten seine Mutter, und der dennoch durch seine gefürchtete Kühnheit und noch mehr
    gefürchtete Tücke ein gewisses Übergewicht im Dorfe erlangt hatte, das um so mehr aner-
    kannt wurde, je mehr man sich bewußt war, ihn nicht zu kennen und nicht berechnen zu kön-
    nen, wessen er am Ende fähig sei. Nur e i n Bursch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Be-
    wußtsein seiner Kraft und guter Verhältnisse ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in
    Worten war als Friedrich und immer, wenn der Stachel saß, einen Scherz daraus zu machen
    wußte, so war dies der einzige, mit dem Friedrich ungern zusammentraf.
    Vier Jahre waren verflossen; es war im Oktober; der milde Herbst von 1760, der alle Scheunen
    mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte seinen Reichtum auch über diesen Erdwinkel
    strömen lassen, und man sah mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen
    Streichen als je. Überall gabs Lustbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme, und wer ein
    paar Taler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute essen und morgen hun-
    gern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine tüchtige solide Hochzeit, und die Gäste durften
    mehr er warten als eine verstimmte Geige, ein Glas Branntwein und was sie an guter Laune
    selber mitbrachten. Seit früh war alles auf den Beinen; vor jeder Tür wurden Kleider gelüftet,
    und B. glich den ganzen Tag einer Trödelbude. Da viele Auswärtige erwartet wurden, wollte
    jeder gern die Ehre des Dorfes oben halten.

    Literatur Online: Kunstguerilla for Freewarez am: 11.10.2000
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    Annette von Droste-Hülshoff (1779-1848)
    Die Judenbuche

    Es war sieben Uhr abends und alles in vollem Gange; Jubel und Gelächter an allen Enden, die
    niederen Stuben zum Ersticken angefüllt mit blauen, roten und gelben Gestalten, gleich Pfand-
    ställen, in denen eine zu große Herde eingepfercht ist. Auf der Tenne ward getanzt, das heißt:
    wer zwei Fuß Raum erobert hatte, drehte sich darauf immer rundum und suchte durch Jauch-
    zen zu ersetzen, was an Bewegung fehlte. Das Orchester war glänzend, die erste Geige als
    anerkannte Künstlerin prädominierend, die zweite und eine große Baßviole mit drei Saiten von
    Dilettanten ad libitum gestrichen; Branntwein und Kaffee in Überfluß, alle Gäste von Schweiß
    triefend; kurz, es war ein köstliches Fest. Friedrich stolzierte umher wie ein Hahn, im neuen
    himmelblauen Rock, und machte sein Recht als erster Elegant geltend. Als auch die Gutsherr-
    schaft anlangte, saß er gerade hinter der Baßgeige und strich die tiefste Saite mit großer Kraft
    und vielem Anstand.
    "Johannes!" rief er gebieterisch, und heran trat sein Schützling von dem Tanzplatze, wo er
    auch seine ungelenken Beine
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