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Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)

Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)

Titel: Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Autoren: Scott McBain
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Priester, die in der Kirche die Messe lasen, und das seit fast vierzig Jahren. Sie gaben ein seltsames Paar ab. Hassan war klein und dünn und trug einen weißen Vollbart, Jussef groß und dünn, mit grauem Bart. Wenn sie gemeinsam die Messe feierten, fiel es schwer, nicht zu lachen, weil sie wie ein Komikerpaar wirkten, und so wurden sie, hinter ihrem Rücken, von den Gemeindemitgliedern liebevoll »Klein« und »Groß« genannt. Und weil sie schon so lange ihrer Gemeinde dienten, gehörten sie gewissermaßen zum Inventar. Das war zwar gut, was die Beständigkeit betraf, hatte jedoch zu einem gewissen Stillstand geführt. Beide waren natürlich ehrenwerte Gottesmänner, gehorsam und ohne Laster, aber sie waren auch einfallslos und nicht besonders intelligent. Allerdings befanden sie sich wohl am richtigen Ort, denn die koptische Kirche entwickelte sich ja auch nicht weiter. Schließlich war alles Wichtige zweitausend Jahre zuvor geschehen, und keiner rechnete mit irgendwelchen Neuerungen in den nächsten tausend.
    »Ist irgendwas passiert?«, fragte Pater Hassan. »Er steckt doch wohl nicht in Schwierigkeiten?«
    »Nein. Na ja, doch.« Jussef zögerte. »Es ist ziemlich seltsam. Während ich heute Morgen die Messe gelesen habe, habe ich eine dringende Mitteilung vom Bischof erhalten. Der Patriarch möchte Josua sehen.«
    »Der Patriarch?« Pater Hassan riss den Mund voll Erstaunen auf, so dass mehrere gelbe Zähne zum Vorschein kamen. »Das muss ein Versehen sein.«
    »Nein, nein. Der Bischof hat es mir gegenüber bestätigt.«
    Die beiden Männer schauten sich an und versuchten die Antwort im Gesicht des anderen zu lesen. Das Ganze war, milde ausgedrückt, außergewöhnlich. Warum sollte das Oberhaupt ihrer Kirche mit Josua sprechen wollen? Redete Gott denn je mit kleinen Leuten? Gewiss nicht. Josua war ohne Bedeutung – nur ein Priesterzögling, dreißig Jahre alt, von durchschnittlicher Begabung und durchschnittlichem Verstand. Seit seinem Schulabschluss hatte er sich mit allerlei Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Er war Taxi gefahren, hatte an einem Marktstand Obst verkauft, auf dem Bau gearbeitet. Vor einem Jahr war er zu Pater Jussef gekommen und hatte gebeten, Priester werden zu dürfen. Das hatte zu Problemen geführt. Er war älter als die meisten Bewerber, bei denen es sich überwiegend um junge Männer in ihren Zwanzigern handelte. Gleichwohl war dieses Problem nicht unüberwindlich. Schwieriger war da schon, dass Josua keinen höheren Schulabschluss besaß. Natürlich konnte er lesen und schreiben, aber er hatte eindeutig keine gemeinsamen Vorfahren mit Albert Einstein. Er war nicht unterdurchschnittlich begabt, aber, wie es die klugen Leute (soll heißen: die Priester) ausdrückten, geistig minderbemittelt.
    Hassan und Jussef hatte die Frage mit ihren Brüdern in den anderen koptischen Kirchen in Alexandria sehr detailliert erörtert. Danach herrschte Konsens, dass ein Priester imstande sein musste, die Bibel zu verstehen und sie seinen Schäfchen auszulegen. Natürlich nicht aus einer Position der Überlegenheit heraus – sondern aus der der
Autorität
. Aber würde Josua sich dieser Aufgabe gewachsen zeigen? Schließlich, nach langen Diskussionen, fanden sie einen Weg, um Josua aufnehmen zu können. Sobald Josua seine Ausbildung beendet hatte – und
falls
er seine theologischen Examen bestand (ein etwas großes Falls) –, würden sie ihn in die Provinz schicken. Dort würde seine intellektuelle Leistungsfähigkeit keine Rolle spielen. Er würde auch nicht unter einem Gefühl des Ungenügens leiden, und da seine Schäfchen noch weniger intelligent wären, würde er durchaus aus einer Position der
Autorität
sprechen können.
    So hatten sie Josua also als Priesterzögling aufgenommen. Er hatte sich als gerade noch befriedigender Schüler erwiesen und das erste Jahr seiner Bibelstudien mit Ach und Krach bestanden. (Allerdings hatte Jussef das Notenniveau, mit dem man bestand, absenken müssen.) Zudem neigte Josua dazu, sich am Altar ein wenig ungeschickt anzustellen – was wenig hilfreich war, da es der Sohn Gottes keinesfalls mochte, fallen gelassen zu werden. Und manchmal redete er auch recht unverblümt. Mehrfach hatte Jussef ihn daran erinnern müssen, dass es
keine
Tugend war, völlig aufrichtig zu sein. Die Wahrheit müsse stets mit einem gerüttelt Maß an Takt und vielleicht auch mit ein bisschen Verstellung vermischt werden, wenn die Situation dies erfordere. Wenn ein Mitglied der
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