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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz
Autoren: Carlos Fuentes
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wie den Rücken einer Frau machte.
    »Immer, wenn ich die Hauswände berühre, muß ich daran denken, wie ich deinen Rücken gestreichelt habe, deinen schönen, zarten, nackten Rücken. Erinnerst du dich?« sagte Großvater Don Felipe zu seiner immer noch aufrechten, obgleich schon schwerkranken Gattin.
    Als die Großmutter am nächsten Morgen mit einem Seufzer starb, konnte ihr Ehemann endlich das durchsetzen, was sie zu ihren Lebzeiten immer abgelehnt hatte: ihr schwarze Handschuhe anzuziehen, die anstelle der vier fehlenden Finger der rechten Hand mit Watte ausgestopft waren.
    Er schicke sie genauso in die Ewigkeit, sagte er, wie er sie empfangen habe, als die in der Ferne bestellte Braut mit zweiundzwanzig Jahren aus Deutschland eintraf: ganz wie auf ihrer Daguerreotypie, mit dem Haar, das in der Mitte geteilt und in zwei großen Halbkreisen angeordnet war, die beide von dem perfekten Scheitel mit seiner perfekten Symmetrie ausgingen und die Ohren bedeckten, als wollten sie die Perfektion der Perlmuttohrringe betonen, die von den verborgenen Ohrläppchen herabhingen.
    »Die Ohren sind das häßlichste an einer Frau«, murrte Virginia.
    »Du findest immer nur Fehler«, entgegnete Hilda.
    »Ich lasse dich deklamieren, Virginia, und ich höre dich spielen, alles mit meinen abscheulichen kleinen Ohren«, lachte die Mama von Laura Dïaz. »Wie gut, daß Mutti in El Perote keine Ohrringe trug!«
    Als Zweiundzwanzigjährige war Dona Cosima mit tiefschwarzer Haarmähne aus Deutschland gekommen, als wollte sie so die weiße Haut noch mehr hervorheben. Auf dem Bild drückte sie mit der rechten Hand einen Fächer an die Brust.
    Hilda spielte schamhaft, aber leidenschaftlich Klavier, als wollte sie die Behinderung ihrer Mutter ausgleichen und sie obendrein beleidigen, indem sie ihr mit heimlichem Groll zu verstehen gab, ich kann es, du nicht, sie, die älteste und einzige Kelsen-Tochter, die zusammen mit ihrer Mutter Deutschland besuchen, ein einziges Mal, und in Köln einem Konzert des berühmten Pianisten und Komponisten Franz Liszt lauschen durfte.
    Viele der europäischen Einwanderer sprachen voller Ironie über Mexiko, es sei ein Land von Indios und Bauernlümmeln, das eine solch üppige und reiche Natur besitze, daß man auch ohne Arbeit die unmittelbaren Bedürfnisse befriedigen könne. Indem man die Einwanderung von Deutschen förderte, sollte dieser Zustand überwunden, eine andere Natur, die der arbeitsamen Europäer, in Mexiko eingeführt werden. Die aber kamen, um den Boden zu bebauen, ertrugen das harte und einsame Leben nicht und wanderten in die Städte ab. Gerade deshalb blieb Felipe Kelsen seiner Verpflichtung treu, das Land unter Mühen zu bearbeiten und zwei Versuchungen abzuweisen: die Rückkehr nach Deutschland und Fahrten nach Mexico-Stadt wie jene, die seine Frau Côsima so teuer zu stehen gekommen war. Nach dem Konzert hatte Hilda zu ihrer Mutter gesagt: »Mutti, warum bleiben wir nicht für immer hier? Wie grauenhaft Mexiko doch ist!«
    Daraufhin verbot Don Felipe nicht nur jeden Besuch des Vaterlandes, er verbot auch, daß man zu Hause deutsch sprach, und mit geballter Faust, die noch strenger wirkte, weil sie ruhig blieb und keine Schläge austeilte, sagte er, sie seien jetzt alle Mexikaner, sie müßten sich anpassen, es gebe keine weiteren Reisen an den Rhein, und alle sollten ausschließlich spanisch sprechen. Aus Philipp wurde Felipe, und bei Côsima, nun, da war nichts zu machen, sie hieß eben Côsima. Nur Virginia traute sich, ihre Mutter mit schelmischer Zärtlichkeit »Mutti« zu nennen und ständig deutsche Zitate im Mund zu führen. Don Felipe zuckte die Achseln, das Mädchen war aus der Art geschlagen.
    »Es gibt Leute, die schielen, es gibt Albinos, und es gibt Virginia«, sagte sie über sich selbst, während sie die Augen heuchlerisch verdrehte. »Gesundheit!«
    Man durfte nicht deutsch sprechen und sich auch mit nichts anderem als dem Haushalt beschäftigen oder, wie man damals sagte, der Hauswirtschaft. Die Töchter wurden ganz Hausfrauen, vielleicht, um die Behinderung der Mutter auszugleichen, die sich in ihren Schaukelstuhl setzte – eine weitere aus Louisiana eingetroffene Neuheit –, sich Luft mit der linken Hand zufächelte und in die Ferne blickte, zur Landstraße und zum Nebel El Perotes hinüber, wo sie als junge Frau vier Finger und, wie manche behaupteten, auch ihr Herz verloren hatte.
    »Wenn eine Frau den Protz von Papantla kennenlernt, vergißt sie ihn nie wieder«,
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