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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz
Autoren: Carlos Fuentes
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Gegebenheiten des Lebens: Heine Kelsen, sein Vater, verdankte seine Position der, abhängigen, aber respektvollen, Bank- und Geschäftsverbindung mit dem alten Johann Buddenbrook, der ein Vermögen gemacht hatte, indem er Weizen aufgekauft und ihn für gutes Geld an die preußischen Truppen im Krieg gegen Napoleon weiterverkauft hatte. Heine Kelsen vertrat in Düsseldorf die Interessen des alten Johann, des Lübecker Bürgers, doch sein Glück, sein Geld und sein günstiges Geschick, erschien in doppeltem Glanz, als er Lätitia Lassalle heiratete, die Patentochter des Finanziers Nucingen, der es nicht versäumte, seinem Schützling eine jährliche Leibrente von hunderttausend Pfund als Aussteuer mitzugeben.
    Das alles vergaß Philipp Kelsen, als er mit seinen vierundzwanzig Jahren zum erstenmal Ferdinand von Lassalle hörte.
    Lassalle sprach mit der Leidenschaft des Romantikers und der Vernunft des Politikers zu den rheinischen Arbeitern, er erinnerte sie daran, daß im neuen industriellen und dynastischen Europa der große Napoleon durch Napoleon den Kleinen ersetzt worden sei, und gerade, weil er so klein sei, sei es diesem erbärmlichen und lüsternen Zwergtyrannen gelungen, Regierung und Bourgeoisie gegen die Arbeiter zusammenzuschließen. »Der erste Napoleon«, rief Lassalle auf der Kundgebung, »war ein Revolutionär, sein Neffe ist ein Kretin, und er vertritt nichts weiter als die todgeweihte Reaktion.«
    Wie der junge Kelsen diesen jungen Redner doch bewunderte, den mitreißenden Lassalle, den die Düsseldorfer Polizei als einen Burschen »von außerordentlichen geistigen Fähigkeiten, unermüdlicher Tatkraft, fester Entschlossenheit, zügellos linksextremen Ideen, mit einem weiten Freundeskreis, großer praktischer Gewandtheit und beträchtlichen Geldmitteln« beschrieb. Aus all diesen Gründen war er gefährlich, urteilte die Polizei, und aus all diesen Gründen auch bewundernswert, überzeugte sich sein junger Anhänger Kelsen, denn Lassalle war gut gekleidet (sein Rivale Marx hatte Fettflecke auf der Weste), Lassalle ging zu den Empfängen ebenjener Klasse, die er bekämpfte (Marx kam nicht über die elendesten der Londoner Kaffeehäuser hinaus), Lassalle glaubte an die deutsche Nation (Marx war ein dem Nationalismus feindlicher Kosmopolit), Lassalle liebte das Abenteuer (Marx war ein langweiliger Familienvater aus dem Mittelstand, der seiner aristokratischen Gattin von Westphalen nicht einmal einen Ring schenken konnte).
    Zeit seines Lebens würde Philipp Kelsen gegen die lassalleanische Inbrunst seiner sozialistischen frühen Jahre ankämpfen, er hatte seine Jugend mit dieser glanzvollen Illusion vergeudet, die, wie das europäische Saatfeld des Dichters, vielleicht nur eine Trümmerstätte war. Der Sozialist Lassalle verbündete sich schließlich mit Bismarck, dem Anhänger des Feudalismus, dem ultranationalistischen und ultrareaktionären preußischen Junker, weil sie gemeinsam die besitzgierigen und vaterlandslosen Kapitalisten bändigen wollten, das war der Grund ihres schwer zumutbaren Bündnisses. Die Kritik der Macht verwandelte sich in Macht über die Kritik. Philipp Kelsen verließ Deutschland am 28. August 1864, genau dem Tag, an dem sein entehrter Held Ferdinand von Lassalle zu seinem blutüberströmten Helden wurde, tödlich getroffen bei einem Duell in einem Wald in der Nähe von Genf, und das aus einem Grund, der ebenso absurd und romantisch wie der stattliche Sozialist selbst war: Lassalle hatte sich leidenschaftlich in die schöne Hélène (von Dönniges, wie die Chronik meldet) verliebt, forderte ihren Verlobten zum Duell (lancu von Racowitz, erklärte die Pressenotiz weiter), und der, ganz wie es sich gehörte, schoß Lassalle eine Kugel in den Bauch, ohne die geringste Rücksicht auf Geschichte, Sozialismus, Arbeiterbewegung oder den Eisernen Kanzler.
    Wie konnte sich der fünfundzwanzigjährige enttäuschte Sozialist Philipp Kelsen weiter von dem Breslauer Friedhof entfernen, auf dem man den mit neununddreißig Jahren getöteten Lassalle begrub, als durch seine Reise zu den Küsten Amerikas? In Veracruz endete seine lange Fahrt über den Atlantik, die im Hamburger Hafen begonnen hatte. Er zog weiter ins Landesinnere nach Catemaco, in jene heißen, üppigen, überreichen Landstriche, wo sich, wie es hieß, Natur und Mensch vereinen und gemeinsam aufblühen konnten, fern vom enttäuschenden, korrupten Europa.
    Von Lassalle bewahrte Philipp allein die rührende Erinnerung, den
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