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Die Jahre mit Laura Diaz

Die Jahre mit Laura Diaz

Titel: Die Jahre mit Laura Diaz
Autoren: Carlos Fuentes
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alles ist gutgegangen, die Plantage floriert, die Mädchen wachsen heran, Hilda hat ihre Musik, Virginia ihre Bücher, wer sich tatsächlich beklagen könnte, wäre Leticia, die fern von ihrem Mann lebt, was beide vereinbart haben, was ich nicht angeordnet oder durchgesetzt habe, vielmehr wollen sie auf die Zukunft warten, ohne daran zu denken, daß sie sie vielleicht schon für immer verloren haben, denn Gelegenheiten muß man beim Schöpf packen, wie man Vögel im Flug fängt, oder sie verschwinden für immer, wie ich mich in das sozialistische Abenteuer stürzte, bis sich alles erschöpfte, und dann habe ich mich nach Amerika gewagt, das sich allem Anschein nach nie erschöpft, ein unendlicher grenzenloser Kontinent, während wir Europäer unsere Geschichte längst verschlungen haben, sie nur mehr wiederkäuen und manchmal ausspucken, ach was, wir kacken sie heraus, wir sind Geschichtskacker, während man hier zuerst mal Geschichte machen muß, ohne die Irrtümer und ohne die Träume und Enttäuschungen Europas, indem man bei Null anfängt; was für eine Wohltat, welche Macht, vom Nichts auszugehen, Herr des eigenen Schicksals zu sein, dann kann man Rückschläge, Mißgeschicke, Fehler hinnehmen, weil sie Teil des eigenen Geschicks und nicht irgendeines entfernten Ereignisses sind, Napoleon, Bismarck, Lassalle, Marx, alle hatten sie auf ihren Thronen und Tribünen weniger Freiheit als ich hier, der ich dasitze und die Rechnungen einer Kaffeeplantage überprüfe, Himmel, Arsch und Zwirn…), und die schweigsame Großmutter Côsima schließlich schaukelte sanft in ihrem rocking chair, der aus Louisiana und nicht aus Mexico-Stadt kam (ich wollte Felipe klarmachen, daß auch ich zu diesem Land gehörte, nichts weiter; kaum angekommen, war mir schon klar, daß ich sein letztes Zugeständnis an die deutsche Vergangenheit war; warum er mich ausgesucht hat, weiß ich immer noch nicht; warum er gerade mich so liebt: ich hoffe nicht, um mein unglückliches Abenteuer in El Perote wiedergutzumachen, nie hat er mich spüren lassen, daß er mich bemitleidet, im Gegenteil, stets hat er mich mit männlicher Leidenschaft geliebt, unsere Töchter wurden in schamloser, unziemlicher Leidenschaft gezeugt, die sich keiner, der uns kennt, vorstellen könnte, Hure nennt er mich, und es gefällt mir, ich sage ihm, ich stelle mir vor, wie ich es mit dem Chinaco treibe, der mich verstümmelt hat, und das gefällt ihm, wir sind Komplizen in einer heftigen Liebe ohne Scham oder Zurückhaltung, die nur er und ich kennen und die den Tod für uns ungeheuer schmerzlich macht, den Tod, der mir naht und mir, uns sagt, jetzt wird einer von euch beiden ohne den ändern leben müssen, und: wie könnt ihr euch so weiterlieben? Ich weiß nicht, warum mir verborgen ist, was danach kommt, aber er bleibt zurück und kann sich an mich erinnern, mich in seiner Vorstellung fortbestehen lassen und glauben, ich sei nicht gestorben, sondern bloß mit diesem Protz durchgebrannt, den ich nie wiedergesehen habe –denn was sollte ich mit ihm machen, wenn ich ihm begegnete: brächte ich ihn um oder ginge ich mit ihm?, nein, ich werde nur immer das denken, was ich den Leuten sage: daß ich das alles getan habe, um die übrigen Reisenden zu retten, aber wie kann ich diesen bestialischen Blick vergessen, diesen Stolz, dieses Schreiten eines Tigers, dieses unbefriedigte Verlangen, meines und seines, nie, nie, nie…)
    Tante Hilda spielte Klavier, Tante Virginia schrieb – wozu sie noch einen Gänsekiel benutzte –, und Lauras Mutter Leticia kochte, und es machte ihr nicht nur Spaß, sie war eine Meisterin der Kochkunst, was die Küche der Küstengegend betraf: Reis, Bohnen, Bananen und Schweinefleisch aufeinander abzustimmen, das Fleisch für Eintopfgerichte zu zerfasern und mit Zitrone zu beträufeln, die Tintenfische in der eigenen Tinte einzulegen und ganz am Ende die Meringen zu servieren, die Creme- und Quarkspeisen und das Eierkonfekt, die süßeste Süßspeise der Welt, die von Barcelona nach Havanna und von Kuba nach Veracruz gelangt war, als sollte sie alle Bitternis dieser Welt voller Revolutionen, Eroberungen und Tyrannei versüßen.
    »Keine Rede davon, ich will nichts über die Vergangenheit Mexikos wissen, Amerika, das ist nur Zukunft«, erklärte der Großvater eigensinnig, wenn man dergleichen Themen ansprach. Deshalb ging er immer seltener zu Abendgesellschaften und Festessen und nie wieder in eine Kneipe, seitdem er in jener Nacht, völlig
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