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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes
Autoren: Willis Connie
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eine Kerze anzuzünden, diese aber war zu einem mißgestalteten, halb zerflossenen Wachsklumpen niedergebrannt und ging immer wieder aus. Sie schien dankbar, als Colin mit seiner Taschenlampe herankam. Er richtete den Lichtkegel voll auf sie und den Liegenden.
    »Sie müssen mir mit Roche helfen«, sagte sie, ins Licht blinzelnd. Sie beugte sich über den Mann und ergriff seine Hand.
    Sie denkt, er sei noch am Leben, dachte Dunworthy, aber sie sagte in dieser tonlosen, selbstverständlichen Stimme: »Er starb heute morgen.«
    Die gefalteten Hände waren beinahe so purpurn wie die Decke, aber das Gesicht des Mannes war blaß und völlig friedlich.
    »Was war er, ein Ritter?« fragte Colin verwundert.
    »Nein«, sagte Kivrin. »Ein Heiliger.«
    Sie hatte ihre Hand auf die seinen gelegt. Dunworthy sah, daß sie schwielig und blutig war, die Fingernägel schwarz, die Haut rissig und schrundig. »Sie müssen mir helfen«, sagte sie.
    »Womit helfen?« fragte Colin.
    Dunworthy begriff, daß sie ihre Hilfe bei der Beerdigung des Toten wünschte, aber dazu sah er sich nicht imstande. Der Mann, den sie Roche genannt hatte, war vielleicht nicht mehr als mittelgroß, obwohl die Größe eines Liegenden schlecht einzuschätzen war, aber ungemein breit und kräftig gebaut. Selbst wenn sie ein Grab ausschaufeln konnten, würden sie ihn zu dritt nicht tragen können, und Kivrin würde niemals zulassen, daß sie ihm einen Strick um den Hals knoteten und ihn auf den Friedhof hinausschleiften.
    »Womit helfen?« wiederholte Colin. »Wir haben nicht viel Zeit.«
    Sie hatten überhaupt keine Zeit. Es war inzwischen Spätnachmittag, und nach Dunkelwerden würden sie niemals den Weg durch den Wald finden. Außerdem war schwer zu sagen, wie lang Badri die alle zwei Stunden wiederholte Öffnung des Netzes aufrechterhalten konnte. Zwar hatte er von vierundzwanzig Stunden gesprochen, dabei aber nicht kräftig genug ausgesehen, um ihrer zwei zu überdauern. Und annähernd acht Stunden waren bereits vergangen. Hinzu kam, daß der Boden gefroren war, daß Kivrin sich Rippen gebrochen hatte, und daß die Wirkung der Aspirintabletten nachließ. In der Kirche war es so eisig, daß er wieder vor Kälte zu zittern begann.
    Wir können ihn nicht begraben, dachte er, den Blick auf der neben dem Toten knienden Kivrin. Aber wie konnte er ihr das sagen, nachdem er für alles andere zu spät gekommen war?
    »Kivrin…«
    Sie tätschelte sanft die kalte Hand des Toten. »Wir werden ihn nicht begraben können«, sagte sie in diesem ruhigen, ausdruckslosen Ton. »Wir mußten Rosemund in sein Grab legen, nach dem Verwalter…«
    Sie blickte zu Dunworthy auf. »Heute früh versuchte ich ein neues Grab zu schaufeln, aber der Boden ist zu hart. Die Schaufel brach ab. Ich sprach die Totenmesse für ihn. Und ich versuchte die Glocke zu läuten.«
    »Wir hörten sie«, sagte Colin. »So fanden wir Sie.«
    »Es hätten neun Schläge sein sollen, aber ich mußte aufhören.« Sie legte die Hand in erinnertem Schmerz an ihre Seite. »Sie müssen mir helfen, das Totengeläute zu vollenden.«
    »Warum?« fragte Colin. »Ich glaube nicht, daß irgendwo noch jemand am Leben ist, sie zu hören.«
    »Das hat nichts zu sagen«, erwiderte Kivrin. Ihr Blick richtete sich auf Dunworthy.
    »Wir haben keine Zeit«, sagte Colin. »Bald wird es dunkel, und der Absetzort ist…«
    »Ich werde läuten«, sagte Dunworthy. »Sie bleiben hier«, ergänzte er, als sie Anstalten machte, aufzustehen. »Ich werde die Glocke läuten.« Er wandte sich um und ging durch das Kirchenschiff zurück.
    »Es wird dunkel«, sagte Colin, der ihm nachtrabte. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe tanzte wild über die Säulen und die Steinplatten des Bodens, »und Sie sagten, Sie wüßten nicht, wie lange Badri das Netz offenhalten kann. Warten Sie doch einen Augenblick!«
    Dunworthy stieß die Tür auf, die Augen gegen die erwartete Helligkeit des Schnees zusammengekniffen, aber während sie in der Kirche gewesen waren, hatte die Dämmerung eingesetzt, und aus dem dunkelnden Himmel rieselte der Schnee. Er ging schnell über den Friedhof zum Glockenturm. Die Kuh, die Colin bei ihrer Ankunft gesehen hatte, war durch die Friedhofspforte gekommen und wanderte quer über die Gräber auf sie zu. Ihre Hufe versanken bis über die Fesseln im Schnee.
    »Was nützt es, die Glocke zu läuten, wenn niemand da ist, sie zu hören?« sagte Colin. Er blieb stehen, um seine Taschenlampe auszuschalten, dann rannte er, ihn
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