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Die Jahre des Schwarzen Todes

Die Jahre des Schwarzen Todes

Titel: Die Jahre des Schwarzen Todes
Autoren: Willis Connie
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wieder einzuholen.
    Dunworthy betrat den Glockenturm. Er war so dunkel und kalt wie das Kircheninnere, und roch nach Ratten. Die Kuh steckte ihren Kopf herein, und Colin zwängte sich an ihr vorbei und stand an der gekrümmten Wand.
    »Sie sind derjenige, der ständig sagt, daß wir zum Absetzort zurück müssen, daß das Netz geschlossen wird und uns hier zurückläßt«, sagte er. »Sie sind es, der sagte, wir hätten nicht einmal mehr Zeit, Kivrin zu suchen.«
    Dunworthy stand eine kleine Weile in der Mitte des dunklen, runden Raumes, ließ seinen Augen Zeit zur Anpassung und versuchte zu Atem zu kommen. Er war zu schnell gegangen, und die Beengung in seiner Brust machte sich wieder unangenehm bemerkbar. Er blickte zum Seil auf, das über ihren Köpfen in der Dunkelheit hing. Eine Elle über dem zerfransten Ende war ein fettig aussehender Knoten.
    »Darf ich läuten?« fragte Colin.
    »Du bist zu klein.«
    »Bin ich nicht«, sagte er und sprang hoch, das Seil zu ergreifen. Er erwischte das Ende unter dem Knoten und hing mehrere Atemzüge daran, bevor er sich fallen ließ, aber das Seil gab kaum nach, und die Glocke gab nur einen schwachen, verstimmten Ton von sich, als hätte jemand mit einem Stein an ihre Seite geschlagen. »Ist die schwer«, sagte er.
    Dunworthy reckte die Arme und ergriff das rauhe Hanfseil. Es war kalt und faserig. Er zog kräftig abwärts, keineswegs überzeugt, daß er Besseres als Colin zuwege bringen würde, und das Seil schnitt in seine Hände. Bong.
    »Ist das laut!« sagte Colin, klappte die Hände über die Ohren und blickte begeistert in den dunklen Turm hinauf.
    »Eins«, sagte Dunworthy. Eins und auf. Er erinnerte sich der Amerikanerinnen, beugte die Knie und zog am Seil abwärts. Zwei. Und auf. Und drei.
    Er wunderte sich, daß es Kivrin gelungen war, mit ihren gebrochenen oder geprellten Rippen überhaupt einen Glockenton zu erzeugen. Die Glocke war viel schwerer und bei weitem lauter als er es sich vorgestellt hatte, und die Töne schienen in seinem Kopf und seiner beengten Brust zu vibrieren. Bong.
    Er dachte an Mrs. Piantini, wie sie ihre sulzigen Knie beugte und dabei zählte. Fünf. Er hatte nicht zu würdigen gewußt, welch schwierige Arbeit es war. Jeder Zug am Glockenseil schien ihm den Atem aus den Lungen zu reißen. Sechs.
    Er hätte gern aufgehört und eine Ruhepause eingelegt, wollte aber Kivrin, die in der Kirche kniete und lauschte, nicht denken lassen, daß er aufgegeben habe oder zu nachlässig sei, um die Zahl der Glockenschläge vollzumachen. Er festigte seinen Griff über dem Knoten und als er mit allen Kräften zog, entrang sich seiner Brust ein lautes Ächzen.
    »Fehlt Ihnen was, Mr. Dunworthy?«
    »Nein«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es schien ihm die Lungen aufzureißen. Sieben.
    Die Glocke zog das Seil hinauf, und er ließ sich mit hochziehen. Mrs. Taylor kam ihm in den Sinn, wie sie, schon krank, die Schläge gezählt hatte, die zur Vollendung des Glockenspiels noch nötig waren, entschlossen, dem Fieber und den hämmernden Kopfschmerzen standzuhalten.
    »Ich kann weitermachen«, sagte Colin, und Dunworthy konnte ihn kaum hören. »Ich kann Kivrin holen, und zusammen schaffen wir die beiden letzten Schläge. Wir ziehen zusammen am Seil.«
    Dunworthy schüttelte den Kopf. Er zog mit aller Macht am Seil. Bong. Acht. »Jeder muß bei seiner Glocke bleiben«, sagte er atemlos. Er durfte das Seil nicht loslassen. Mrs. Taylor war ohnmächtig geworden, und die Glocke hatte das Seil hochgerissen, daß es wie eine Peitsche geschlagen hatte. Es hatte sich Finch um den Hals gewickelt und ihn beinahe erdrosselt. Er mußte festhalten, trotz allem.
    Er ging in die Knie, stieß keuchend den angehaltenen Atem aus und ließ das Seil hochgehen. »Neun«, sagte er.
    Colin beobachte ihn, eine steile Falte zwischen den Brauen. »Sie haben einen Rückfall, nicht?« sagte er argwöhnisch.
    »Nein«, sagte Dunworthy und ließ das Seil los.
    Die Kuh hatte ihren Kopf noch immer in der Tür. Er schob sie beiseite und ging zurück zur Kirche und hinein.
    Kivrin kniete unverändert neben Roche, seine steife Hand in der ihrigen.
    Er blieb vor ihr stehen. »Ich habe die Glocke geläutet.«
    Sie blickte auf, ohne zu nicken.
    »Meinen Sie nicht, daß wir jetzt gehen sollten?« sagte Colin. »Es wird dunkel.«
    »Ja«, sagte Dunworthy. »Ich glaube auch, wir sollten…« Das Schwindelgefühl überwältigte ihn ganz unerwartet, und er schwankte und fiel beinahe
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