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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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weil sie kommt.
    Ein Lied fällt ihr ein. Ein alter Kinderreim: Eine weiße Frau geht stumm durch das Land. Und wer sie erblickt, hat das Glück gepachtet.
    Hoch über ihr rauscht der Wind, doch am Boden ist es trocken und heiß.
    Müde, denkt sie. Ich bin zu müde zum Laufen.
    Aber sie darf keine Zeit mehr verlieren. Geh nicht in den Wald , hat ihre Mutter ihr eingebläut, der Wald ist gefährlich . Und da hatte sie Recht, ihre Mutter. Auch wenn sie sich sonst so oft geirrt hat.
    Jasper sagt auch, dass sie nicht in den Wald darf. Seit dreißig Jahren sagt er das. Immer und immer wieder. Wie eines von diesen Gebeten, die von vorne beginnen, kaum dass man damit zu Ende ist.
    In den abgeschabten Sandaletten sehen ihre Zehen wie kleine, weiße Perlen aus. Du darfst nicht vergessen, die falsche Erde abzuwaschen, bevor Jasper nach Hause kommt, denkt sie. Aber … Was ist das? Das da, am Zeh? Ist das etwa Blut?
    Hast du dich verletzt?
    Nein, beruhigt sie sich. Alles ist heil. Alles intakt. Aber wo ist die Sonne? Warum ist es auf einmal so dunkel?
    Das ist dein schlechtes Gewissen , raunt ihre Mutter ihr zu. Du weißt, dass du nicht in den Wald darfst. Wenn dich dein Mann hier draußen erwischt, bringt er dich um.
    Sie reibt sich die Müdigkeit aus dem Gesicht, als sie ganz in ihrer Nähe eine Bewegung bemerkt. Einen Schatten.
    Bedeutet das, dass ihre Flucht misslungen ist? So kurz vor dem Ziel?
    Der Waldboden knarrt, und sie steht wie angewurzelt. Aber es ist nur ein Reh. Ein einzelnes Jungtier. Die großen schwarzen Perlenaugen haben sie längst entdeckt. Das äsende Maul stutzt. Dann läuft ein Ruck durch den schmächtigen Körper und das Reh springt mit langen Sätzen davon.
    Jetzt hast du es erschreckt!
    Nein, denkt sie. Nicht das! Bitte nicht!
    Sie hält sich die Ohren zu und rennt los. Um sie herum beginnt der Wald zu atmen, als wolle er sie mit aller Macht aufhalten. Es hechelt aus grünen Lungen hinter ihr her, wie eine Meute von Bluthunden, die ihre Witterung aufgenommen hat.
    Denk an etwas Schönes, und sieh nicht zurück.
    Zurücksehen ist gefährlich. Heute mehr denn je.
    Sie läuft weiter. Sie schwebt fast. Eine Frau geht stumm durch das Land. Und wer sie erblickt, hat das Glück gepachtet. Tränen laufen ihr übers Gesicht. Doch sie bleibt nicht mehr stehen. Schon sieht sie das Wasser funkeln, verheißungsvoll wie ein Versprechen. Nur noch ein paar Schritte, dann ist sie in Sicherheit. Wenn sie die Hütte erreicht, ist sie gerettet. Dorthin werden ihr die Schatten nicht folgen. Das sind sie noch nie. 
    Vor ihren Augen wird das Wasser mit jedem Schritt grüner. Ein Meer aus Lichtdiamanten, ihr ganz persönlicher Schatz unterm Regenbogen. Sie stolpert darauf zu. Fällt hin. Rappelt sich wieder hoch und rennt immer weiter, bis sie das rettende Ufer erreicht.
     
     
     
     
    2
     
    Mittwoch, 25. Juli 2007
     
    Die Straße wand sich durch ein Waldstück. Es war kurz vor zwölf Uhr Mittags und sommerliche Gluthitze drängte von allen Seiten gegen den Wagen, als wolle sie ihn von außen erdrücken. 
    Hendrik Verhoeven fuhr sich mit der freien Hand entnervt durch die verschwitzten blonden Haare. Nach mehreren wettermäßig eher durchwachsenen Wochen war es seit ein paar Tagen fast unerträglich schwül. Nicht einmal die Klimaanlage, die auf Hochtouren lief, schien dieser Affenhitze Herr zu werden.
    Er drosselte das Tempo, um einen Blick auf die Karte zu werfen, die halbentfaltet auf dem Beifahrersitz lag. Zugleich dachte er über die Frage nach, ob er sich jemals zurechtfinden würde, auf dem Land, im Leben, irgendwo. Die Wegbeschreibung, die seine Kollegen ihm mitgegeben hatten, brachte ihn nicht viel weiter. Und das Navi hatte sich bereits vor Minuten mit dem wenig erhellenden Hinweis „Straße ohne Namen“ verabschiedet. Stattdessen versuchte er es jetzt also mit der Karte, die immerhin die Straße verzeichnete, die er gerade befuhr. Wenn auch ohne Abzweigung …
    Ähnlich spärlich waren auch die Informationen, die ihm sein Vorgesetzter mit auf den Weg gegeben hatte. Eine alte Frau lag tot in ihrem Bett. Ihr Mann hatte die Polizei gerufen und angegeben, sie ermordet zu haben. Ein Routinefall. Provinzdrama. Was auch immer …
    Er betrachtete das dichte Grün im Rückspiegel und kam sich vor wie ein Kind, das sich im Wald verirrt hatte. Unwillkürlich suchten seine Augen den Kilometerstand auf dem Tacho. War das Präsidium, von wo er vor einer guten halben Stunde aufgebrochen war, tatsächlich nur etwas mehr
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