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Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)

Titel: Die Jahre am Weiher: Der zweite Fall für Winnie Heller und Hendrik Verhoeven (German Edition)
Autoren: Silvia Roth
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Ende schreiben wird, wenn sie wieder zuhause in ihrer Hütte sitzt.
    Briefe, denkt sie, sind wie Unterhaltungen. Dialoge mit einem, der dich versteht. Selbst dann, wenn sie niemals abgeschickt werden.
    Sie hastet weiter. Durchs Unterholz. Fort von der Gefahr, die so unvermittelt über sie hereingebrochen ist, dass sie heulen könnte vor Angst und Verzweiflung. Dabei hat sie doch nichts weiter gewollt als einen Moment der Freiheit genießen. Nur ein bisschen frische Luft schnappen gegen die Kopfschmerzen, die jeden Sommer aufs Neue über sie kommen wie ein Fieber, das sie durchstehen muss. Heftige Schmerzen sind das. So als ob dir einer einen glühenden Nagel mitten durchs Auge triebe.
    Oder einen Eispickel …
    Ihre Augen gleiten über die Sträucher und suchen nach einem Bezugspunkt, nach etwas, das ihr hilft gegen dieses Gefühl wachsender Orientierungslosigkeit. Aber es ist so entsetzlich lange her, dass sie im Wald gewesen ist. Und Bäume verändern sich.  Wachsen. Werden höher, breiter, älter. Knicken um. Und sterben.
    Ist sie denn noch immer nicht zuhause?
    Auch wenn sie normalerweise überhaupt kein Zeitgefühl hat, ist sie sicher, dass sie vor ein paar Minuten noch am Wasser gewesen ist. Ein Hauch von Sonne auf der bleichen Haut und weiche, humusreiche Erde zwischen ihren Fingern. Eine andere Erde als die, die ihre Tomaten hervorbringt. Abwechslung gewissermaßen. Und mehr will sie ja gar nicht. Nur hin und wieder einmal etwas sehen, das noch nicht verbraucht ist. Verschlissen in dreißig Jahren eingehender Betrachtung.
    Warum will Jasper das nicht verstehen?
    Und was ist das für ein seltsamer Schatten, der ihr folgt?
    Seit ein paar Tagen hat sie bei allem, was sie tut, das Gefühl, dass jemand ihr zusieht.  Fast so wie damals, wenn sie für ihre Mutter zum Metzger musste, Fleisch kaufen. Ein Filetstück für den Braten. Der Braten ist dreißig Jahre her, aber trotzdem ist das Gefühl auf einmal wieder da. Das Gefühl von Augen, die sie anstarren. Und erst gestern, als sie im Garten hinter der Hütte gewesen ist und Radieschen für ihr Abendbrot geerntet hat, da hätte sie schwören können, jemanden im Wald gesehen zu haben. Einen Schatten wie ein Mensch.
    Ein Beobachter.
    Ihr Blick streift Baumstämme, und sie fragt sich, was dahinter ist. Oder besser: Wer …
    Soll sie stehenbleiben?
    Nähert sich nicht jemand? Dort hinten?
    Paranoid vielleicht.
    Vielleicht aber auch nicht … 
    Unter ihren Füßen raschelt das Laub. Seit ein paar Tagen ist es hochsommerlich warm. Nicht so heiß wie damals, aber unangenehm schwül. So als ob der Sommer in wenigen Tagen nachholen wolle, was er in langen Wochen zuvor versäumt hat.
    Der Wald wird dichter. Zwischen den niedrigen Zweigen flirrt die Luft. Zentnerlasten, die wie ein Bleigewicht auf ihrem zierlichen Körper liegen. Sogar ihre Finger sind schon ganz klebrig vor Hitze.
    Sie streicht sie am Kleid ab.
    Über ihren Shorts trägt sie ein blaues Phantasiekleid mit Blümchen darauf. Vielleicht ein bisschen zu jugendlich für sie, aber das macht ihr nichts aus. Man ist so jung, wie man sich fühlt, hieß es nicht so?
    Zur Hütte, denkt sie, nicht abschweifen. Geh nach Hause. Wenn du es bis dorthin schaffst, kann dir nichts mehr geschehen. Zur Hütte kommt niemand. Keine Seele in dreißig Jahren. Gerettet. Versteckt.
    Vor der Welt verborgen.
    Sie lächelt und will gerade weitergehen, als ein Käfer aus großer Höhe direkt vor ihr auf den Boden platscht. Die langen schwarzen Beine recken sich ihr entgegen, sie strampeln und zucken und greifen nach dem Saum ihres Kleides, um sich an ihr aufzurichten. Oder sie hinabziehen, ins Dunkel.
    Nein, denkt sie, lass mich!
    Lenk dich ab, kleine Lilli , flüstert es. Denk an etwas Schönes!
    Früher als Kind, da hat sie sich manchmal vorgestellt, sie wäre ein Floh und der Wald wäre das Fell eines Hundes. Jeder einzelne Stamm sei ein Haar, das in den Himmel ragt. Und der duftende Boden ist die Kopfhaut, auf der sie, Floh-Lilli, herumläuft. Ein schönes Gefühl war das. Sie lacht, und der Wald lacht mit ihr. So laut, dass sie sich selber nicht mehr ausmachen kann im gellenden Stimmengewirr der Bäume ringsum.
    Sei still, um Himmels willen!
    Sie schlägt sich entsetzt eine Hand vor den Mund.
    Sie finden dich sonst. Und dann tun sie dir weh.
    Die Welt um sie herum wird enger. Verdichtet sich, genau wie die Melodie des Waldes. Da sind  grauschwarze Schatten, die mit hektischen Flügelschlägen davonflattern. Einzig und allein,
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