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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin
Autoren: Brigitte Melzer
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Ushana langsam näher kam, doch Vater Ninian vermochte den Blick nicht von dem Mann abzuwenden, der ihn hielt. Sein Haar so schwarz wie einst der Stamm der Eiche, die Züge kantig und auf seinen Lippen lag ein grausames Lächeln. Doch es waren seine Augen, die Vater Ninian gefangen nahmen. Stahlblau und kalt wie Eis. Sein Herz setzte für einige Schläge aus, als er begriff, wen er vor sich hatte. Der Unendliche war gekommen, um seine Kreatur vor der Vernichtung zu retten! Noch immer in diesem eisernen Griff gefangen, tastete Vater Ninian nach dem Kreuz um seinen Hals und hielt es dem Ersten Vampyr entgegen.
    »Weiche, Ausgeburt der Hölle!«
    Seine Worte entlockten dem Unendlichen ein Lachen. Mit einem Ruck riss er Vater Ninian herum, bis er wieder Boden unter den Füßen spürte. Sein Leib wurde nach hinten gebogen. »Trink«, forderte der Unendliche die Ushana auf. »Damit du wieder zu Kräften kommst. Du siehst abscheulich aus.«
    Vater Ninian erstarrte, das Herz erfüllt von Furcht. Würde sie ihm die Seele rauben, wenn sie ihn tötete? Würde Gott ihn verstoßen oder mit offenen Armen empfangen?
    Da durchbrach die Stimme der Ushana die Stille: »Nein!«
    Der Unendliche sah auf. »Nein?«, wiederholte er gefährlich leise.
    »Schenk mir meinen Frieden!« Die Ushana flehte beinahe. »Bitte.«
    »Du bist mein Geschöpf!«, erwiderte der Unendliche kalt. »Ich allein bestimme über dein Dasein! Deine Zeit ist noch nicht gekommen!« Vater Ninian glaubte die Macht zu spüren, die im Blick des Vampyrs lag, als seine Augen nach der Ushana griffen. »Trink!« Die Kraft, die in diesem einen Wort lag, ließ Vater Ninian zusammenzucken.
    Auch die Ushana schien sich nicht länger widersetzen zu können. Sie kam näher. Noch immer vom Unendlichen gehalten, blickte Vater Ninian in die Züge der Ushana, die sich nun über ihn beugte. Jegliche Vernunft in ihren Augen war erloschen. Da waren nur noch Wahnsinn und Hass. Das Letzte, was Vater Ninian in seinem Leben sah, waren die spitzen Zähne der Ushana, ehe sie sich in seinen Hals gruben und ihm das Leben aus den Adern saugten.

März 1733

1
    Alexandra Boroi verfluchte die stickige Enge der Postkutsche. Beinahe zwei Wochen lag London nun schon hinter ihr und manchmal konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, Edinburgh würde kein Stück näher rücken. Normalerweise machte es ihr nichts aus, zu reisen. Sie war daran gewöhnt, seit sie mit dreizehn Jahren das kleine Dorf am Fuße der Karpaten, das einst ihre Heimat gewesen war, verlassen hatte. Zehn Jahre waren seitdem vergangen. Womöglich rührte ihre Unruhe daher, dass sie ihrem Ziel in all der Zeit niemals so nah gekommen war.
    Während ihre Mitreisenden unermüdlich über den weiteren Verlauf der Reise diskutierten, schweifte ihr Blick aus dem Fenster. Die Landschaft war seit Tagen dieselbe. Endlose grüne Hügel zogen in regelmäßigen Wellen unter einem bleigrauen Himmel vorüber. Nur selten durchbrach der Anblick eines Gehöfts die Eintönigkeit. Mit jedem Zoll, den sich die Kutsche voranbewegte, kroch die Dämmerung näher und sog mehr und mehr das Licht aus der Welt. Das stete Ruckeln ließ ihr die Lider schwer werden. Eine Weile kämpfte sie noch dagegen an, dann schloss sie die Augen. Die Worte ihrer drei Begleiter erreichten ihr Ohr nur noch in Form eines gedämpften Brummens. Am Rande des Schlafes spürte sie die Kälte, die durch die Türritzen ins Innere der Kutsche kroch. Fröstelnd schlang sie die Arme um den Oberkörper. Ihr Mantel lag in einem Gepäcknetz über ihr, doch sie brachte nicht die Energie auf, danach zu greifen. Da bemerkte sie plötzlich eine Bewegung neben sich. Einen Moment später hüllte sie warmer Stoff ein. Sie war Gavril dankbar für seinen Mantel, dennoch öffnete sie die Augen nicht. Ihr stand der Sinn weder nach einem Gespräch noch danach, sich unter Gavrils fürsorglichen Blicken wiederzufinden. Wann würde er endlich begreifen, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte? Schlaftrunken fragte sie sich, wie lange es noch dauern mochte, bis sie einen Gasthof erreichten. Schon bald wäre es vollends dunkel und mit der Nacht käme der Nebel. Die unebenen Wege waren schon bei Tag tückisch. In der Dunkelheit gab es nahezu kein Weiterkommen.
    Sie hätten längst einen Gasthof erreichen sollen, doch ein entwurzelter Baum hatte ihre Reise verzögert. Der Kutscher hatte der Hilfe seiner männlichen Passagiere bedurft, um die Straße wieder passierbar zu machen. Schließlich hatten sie ihre
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