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Die Jaegerin

Die Jaegerin

Titel: Die Jaegerin
Autoren: Brigitte Melzer
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darum.«
    Einen Moment noch ruhte der Blick des Kutschers auf den drei Männern, die jetzt alle ausgestiegen waren. Dann nickte er, machte kehrt und ging auf den Stall zu.
    »Gehen wir.« Gavrils Atem stieg dampfend in die kalte Nachtluft. »Ich kann es kaum erwarten, vor einem warmen Kamin zu sitzen.« Sein Blick richtete sich auf Alexandra, dann hielt er ihr die Hand entgegen. »Komm.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Geht ihr schon rein und fragt nach Zimmern. Ich wasche mir rasch das Gesicht.«
    Während sie sprachen, warf keiner einen Blick zur Kutsche zurück. Jeder wusste, was sich dort – keine fünf Fuß entfernt – befand. Die Pferde tänzelten noch immer unruhig hin und her und scharrten mit den Hufen. Einzig die Bremse verhinderte, dass sie mitsamt der Kutsche durchgingen.
    »Bist du sicher, dass du das hier draußen machen willst? Drinnen wird es wohl auch –«
    »Sie wird schon wissen, was sie tut!«, fiel Vladimir Gavril barsch ins Wort. »Jetzt kommt endlich, es ist kalt!«
    Alexandra und die anderen schlossen sich ihm an, als er auf das Haupthaus zuging. Heimeliger Feuerschein drang durch die Fenster nach draußen und zeichnete orangefarbene Lichtquadrate auf den Hof.
    Einige Schritte vor dem Gebäude deutete Vladimir nach links. »Da drüben habe ich einen Brunnen neben dem Haus gesehen. Beeil dich!«
    Ohne ein weiteres Wort trennte Alexandra sich von der Gruppe und ging in die Richtung, die Vladimir ihr gezeigt hatte. Sie hörte, wie die Männer sich dem Haus näherten, die Tür öffneten und eintraten. Neben dem Haus blieb sie stehen und blickte in die dunkle Gasse, die sich vor ihr zwischen dem Haupthaus und einem Schuppen eröffnete. Dass dort ein Brunnen sein sollte, konnte sie lediglich erahnen. Ein paar schemenhafte Umrisse, die sich einige Meter entfernt aus der Nacht erhoben. Vladimir hätte sich weiß Gott etwas anderes ausdenken können, als sie ausgerechnet in diese Finsternis zu schicken. Warum, zum Teufel, benimmt er sich so feindselig? Wie Mihail auch hatte er noch nie viel mit ihr gesprochen. Tatsächlich war ihr weder an seiner Freundschaft gelegen noch daran, mit ihm zu plaudern. Für sie war nur wichtig, dass sie sich im Ernstfall vollkommen auf ihn verlassen konnte. Seit einiger Zeit jedoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass es besser war, nicht zu sehr auf seine Hilfe zu vertrauen. Unsinn! Warum sollte er das Leben einer Verbündeten aufs Spiel setzen? Dennoch ließ seine unterschwellige Feindseligkeit sie misstrauisch reagieren. Etwas stimmte mit Vladimir nicht. Und solange sie nicht wusste, was dahintersteckte, würde sie auf der Hut sein.
    Es war erstaunlich, wie verschieden die Brüder waren. Nicht nur äußerlich. Gavril war schlank und so groß wie sie selbst. Sein kurzes Haar war akkurat geschnitten und der Kinnbart gepflegt. Seine Züge waren ebenso weich wie sein Wesen freundlich. Vladimir war das genaue Gegenteil. Die Statur breit und gedrungen, die Züge finster und größtenteils unter einem wild wuchernden Vollbart verborgen. Das schulterlange Haar hatte er meist zu einem losen Zopf gebunden. Einzig die grünen Augen und das braune Haar hatten die Brüder gemein.
    Alexandra verharrte noch einem Moment, dann zog sie ihren Gehrock zurecht und machte einen ersten Schritt in die Schatten. Selbst hier, in der Dunkelheit, sah sie ihren Atem in hellen Wölkchen aufsteigen. Ihr war noch immer kalt, trotzdem hatte sie ihren Mantel in der Kutsche zurückgelassen. Sie würde ihn später holen. Jetzt wäre er ihr nur im Weg.
    Mit jedem Schritt, den sie tiefer in die Schatten tauchte, schien sich das Gehöft weiter von ihr zu entfernen. Sie war jetzt ganz ruhig. Die Gedanken an die Kälte und an Vladimirs feindseliges Verhalten waren allesamt vergessen. Noch immer trug der Wind Geräusche vom Hof herüber. Der Kutscher, der mit einem Stallburschen sprach, das unruhige Schnauben und Wiehern der Pferde. Sie glaubte sogar Stimmen zu hören, die aus dem Gasthof an ihr Ohr drangen. Vor ihr schälte sich der Brunnen aus der Dunkelheit. Ein grobes Ungetüm aus ungeschlacht wirkenden grauen Steinbrocken. Am Brunnenrand drängte ein Strauch Stechginster aus dem Erdreich. Daneben lag ein umgekippter Eimer. Ohne sich auch nur einmal umzuwenden, bückte sie sich danach und hob ihn auf. Um den Henkel war ein zerfasertes Tau geknotet. Sie nahm es und ließ den Eimer daran langsam in den Brunnen hinab. In ihrem Rücken kroch die Kälte näher, die sie schon in der Kutsche verspürt hatte.
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