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Die Jäger des Lichts (German Edition)

Die Jäger des Lichts (German Edition)

Titel: Die Jäger des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrew Fukuda
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meinem Kinn.
    Praktisch im selben Moment hörte jeder in der Cafeteria auf zu essen. Ein lautes, neugieriges Zischen erhob sich. Einige Schüler sprangen auf und warfen instinktiv den Kopf in den Nacken.
    Ich fuhr mit der Zunge über meine obere Zahnreihe. Beginnend mit dem hintersten Backenzahn tastete ich von Zahn zu Zahn, über raue Spalten und meine angespitzten falschen Fangzähne, die ich immer bei Anbruch der Dämmerung einsetzte. Meine Zunge glitt über die beiden Vorderzähne, erst den einen, dann …
    An Stelle meines zweiten Schneidezahns klaffte jetzt eine Lücke.
    Mein Zahn war herausgefallen. Mittlerweile stand oder hockte die halbe Cafeteria auf den Stühlen. Sogar das Küchenpersonal am anderen Ende des Raumes hatte die Arbeit inzwischen eingestellt. Nur der Tisch mit den Vorschulkindern, die immer noch glaubten, dass das Kunstfleisch den Duft verströmte, aß mit wildem Blick und mahlendem Kiefer weiter.
    Ich nahm meine Tropfschale und tat so, als würde ich daraus trinken, während ich hinter der Deckung des Gefäßes die Lippen aufeinanderpresste. Ich ließ das Blut über mein Kinn und den Hals auf meine Kleidung fließen, um den Hepra-Blutgeruch so gut wie möglich zu überdecken.
    Ich setzte die Schale ab und ging langsam hinaus. Als ich Blicke auf mir spürte, kniete ich mich hin, um mir die Schuhe zu binden, als hätte ich alle Zeit der Welt und keine Sorgen. Ich ging langsam aus dem Raum, saugte an meiner Zahnlücke und schluckte mein eigenes Blut, weil ich nicht wollte, dass noch ein einziger Tropfen aus meinem Mund drang, und schluckte und schluckte und schluckte.
    Ich zwang mich, den Gang hinunterzugehen, und riss mich zusammen, um nicht loszuheulen. Beinahe hätte ich die Kontrolle über meine Blase verloren, was mein sicheres Ende bedeutet hätte. Doch ich beherrschte mich. Ich war sieben Jahre alt und kniff die Augen, die Blase und das Gesicht zusammen, verhinderte, dass Furcht, dass irgendein Gefühl sich auch nur vage in meinem Gesicht abzeichnete. Mein Vater hatte mich wirklich sorgfältig unterwiesen.
    Das Klassenzimmer war leer – alle waren beim Mittagessen –, und nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, wäre ich beinahe schwach geworden. Beinahe hätte ich der Panik nachgegeben, kapituliert und eine ängstliche Flut von Tränen, Blut und Urin aus mir herausströmen lassen. Doch ich fasste mich wieder und klappte den Bildschirm an meinem Pult auf. Während ich weiter an der Zahnlücke saugte und Blut schluckte, damit kein Tropfen über meine Lippen drang, tippte ich mit zitternden Fingern die E-Mail-Adresse meines Vaters. Es war eine einfache Nachricht, die ich im Notfall abschicken sollte, wie er es mir beigebracht hatte.
    Eine leere E-Mail. Ohne Text.
    Das bedeutete nur eins.
    Ich schickte die Mail ab und packte meine Tasche. Als ich das Klassenzimmer verließ, hörte ich den Aufruhr in der Cafeteria, die lauter werdenden Rufe und Schreie. Ich schluckte und schluckte und hoffte, dass das reichen würde.
    In diesem Moment würde mein Vater die E-Mail erhalten. Und ich wusste, egal was er machte und wie beschäftigt er in dem gläsernen Wolkenkratzer auch sein mochte, er würde auf der Stelle alles stehen und liegen lassen und kommen.
    Ich zwang mich, langsam zu gehen, als würde ich nur kurz nach draußen schlendern. Weil am Vordertor meistens mehr Betrieb herrschte, ging ich über den Fußballplatz und die Raute des Baseballfeldes weiter bis zur Straße. Ich begegnete ein paar mitternächtlichen Fußgängern, die mit zuckender Nase den Kopf wandten. Doch ich schluckte weiter mein Blut und verbarg meine tränenden Augen hinter meiner Sonnenbrille.
    Erst als ich eine halbe Stunde später zu Hause war und die Tür verriegelt und die Jalousien heruntergelassen hatte, sank ich auf die Knie, weil all meine Energie und Willenskraft verbraucht waren. Ich rollte mich zusammen und umklammerte meine Beine, weil es sonst nichts und niemanden gab, und stellte mir vor, sie wären eine warmherzige Person, die mich tröstete.
    So fand mein Vater mich eine Viertelstunde später, als er ins Haus stürzte und eilig die Tür schloss. Er nahm meinen zitternden Körper in seine starken Arme und drückte mich an seine warme Brust. Er sagte nichts, während ich schluchzte, bis die Vorderseite seines Hemds feucht war. Er strich nur mein Haar zurück, und nach einer Minute erklärte er mir, dass alles gut werden würde. Ich hätte alles richtig gemacht, er sei stolz auf mich, ich sei ein
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