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Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)

Titel: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz: Roman (German Edition)
Autoren: Jordi Punti
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würde sie nicht mehr atmen, und dann flüsterte sie mit entkräfteter Stimme: »Ich kann nicht mehr, Fernando. Ich kann nicht so tun, als ob …«
    Auch einem Siebenjährigen konnte die tiefe Enttäuschung in ihren Worten nicht entgehen. Ich keuchte und gestand hoffnungslos meine Niederlage ein: »Ich weiß ja, der andere Cristóbal konnte besser malen, Mama, aber ich verspreche dir, ich lerne es auch, ganz bald.«
    Ein lang gezogenes Heulen drang aus ihrer Brust, als würde sie keine Luft kriegen, und dann begann sie zu weinen, untröstlich, mit dem ganzen Körper. Ihre Tränen steckten mich an, und ich verlor schier den Verstand. Ich wusste nicht, ob ich mich ihr ans Bein oder besser auf den Boden werfen sollte.
    »Geh sofort auf dein Zimmer!«, schrie Fernando, wobei er mit der heilen Hand zur Tür wies. »Schau, was du deiner Mutter angetan hast …«
    Otilia, die gelauscht hatte, empfing mich im Flur und begleitete mich in mein Zimmer. An dem Abend war sie es auch, die mir den Pyjama anzog und mich zu Bett brachte. Sie nahm mich ganz fest in den Arm, streichelte mir den Kopf und flüsterte immer wieder, es sei nichts Schlimmes, ich sei unschuldig, unschuldig, unschuldig.
    An nächsten Morgen sagten sie mir, die Mutter sei krank und müsse den ganzen Tag ruhen. Ein Arzt kam, um sie zu untersuchen, aber mich ließen sie nicht zu ihr. Am Nachmittag nahm Fernando mich mit und brachte mich zurück in die Casa de la Caritat. Otilia hatte mir eine Tasche mit all den guten Kleidern gepackt. Auch den neuen Mantel behielt ich. Soweit ich weiß, habe ich auf der ganzen Taxifahrt den Carrer Muntaner hinab (wie ein sozialer Abstieg) nicht geweint. Und soweit ich weiß, sagte Fernando kein einziges Wort zu mir. Er schämte sich wohl zu sehr. Und so wie man ein Möbelstück zurückgibt, wenn man einen Schaden daran feststellt, geschah es, dass ich ein zweites Mal ausgesetzt wurde. Das erste Mal nackt und mit einem Schild, auf dem »Gabriel« stand, an den Bauch geklebt. Jetzt zumindest mit einer Auswahl an Kleidung, und auf den Schildern darin stand »Cristóbal Soldevila«.
    Die Nonnen erwarteten mich schon. Ein paar Tage lang behandelten sie mich, als wäre ich etwas Besonderes. Sie bewachten und pflegten mich mehr als üblich, und die anderen Kinder wurden schon eifersüchtig. Ich hasste diese Art, im Mittelpunkt zu stehen. Die Kehrseite war, dass ich wieder Gabriel hieß. Sie trennten die Etiketten aus meinen Sachen, aber ich trug diese Hosen und Pullover weiter, bis sie mir eines Tages plötzlich zu klein waren. Dann haben wohl andere Waisenkinder sie geerbt.
    Bundó war sehr froh, mich in die Casa de la Caritat zurückkehren zu sehen. Ein paar Wochen lang vermisste ich all die Spielzeuge und Otilias Fürsorglichkeit. Ich konnte nicht gut einschlafen ohne den Peter Pan, der über mich wachte, und nachts quälten mich Albträume, in denen immer ein Mann ohne Hand auftauchte und mich verschleppte. Nach und nach aber verflüchtigten sich diese zwei so verwöhnten wie furchtbaren Wochen. Denn ja, das Wichtige sind am Ende die Werktage, der Rest ist ein Trinkgeld zum Verschleudern.
    Vielleicht fragt ihr euch, warum es so grausame Menschen gibt. Ich werfe ihnen nichts vor. Wir reden hier von einer Zeit, in der sich die Sieger des Krieges für Geld alles kaufen konnten. Was dachten sie sich? Dass die Wirklichkeit sich auf diese Weise umgestalten lässt? Vermutlich. Zumindest die politische Wirklichkeit, ja.
    Wie dem auch sei, diese Geschichte hat noch einen zweiten und einen dritten Teil. Zehn Jahre später, als Bundó und ich aus dem Waisenhaus in die Pension umzogen, bat mich die Oberin im Namen der Einrichtung um Verzeihung. Nun sei ich erwachsen und könne die Sache verstehen. Die Adoption sei eine Idee dieses Herrn gewesen, also Fernando. Sie hatten drei Monate zuvor einen Sohn verloren, der Cristóbal hieß, und ihm war dazu nur eingefallen, einen anderen als Ersatz zu suchen. Aber die Mutter, Maribel, hatte es nicht ertragen. Wie gesagt, ich beschuldige sie nicht, sie tat mir sogar leid – in den wenigen Tagen hatte ich sie sehr lieb gewonnen. Woran der erste Cristóbal gestorben war, weiß ich nicht. Reiche Kinder pflegen ja entweder an spektakulären Krankheiten oder bei furchtbaren Unfällen zu sterben. Bei irgendeinem absurden Spiel enthauptet, versehentlich mit einem Jagdgewehr erschossen oder von einem wild gewordenen Pferd zertrampelt (das dann stets im Stall hingerichtet wird).
    Der dritte Teil begab sich noch
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