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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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hat mir lange geschrieben. So leicht ist es gar nicht, einem Menschen nicht helfen zu können. Für BMW in Brasilien! Ich sehe noch, wie ihre Hände mit einander ringen.
    Brittchen aus Heilbronn!
    Spotte ruhig. Sie ist aus Tauberbischofsheim. Immerhin. Das ist nicht so weit weg von Heilbronn. Osteopathin damals. Vielleicht jetzt noch. Alles mit den Händen. Und ayurvedisch. Alles ist immer Pitta oder Kapha oder Vata.
    Hauptsache, es wurde ein Erfolg.
    Eine Affäre eben. Zuzugeben ist, dass der Erfolg eher davon kam, dass ich das Käthchen in einen glühenden Nebel reiten ließ. Der Graf ist todkrank und träumt, dass ein Cherub ihm Käthchen zuführt. Da findet die alles entscheidende Botschaft statt: Käthchen ist eine Tochter des Kaisers. Dazu durfte ich sie, vom Cherub geführt, nackt auf einem Schimmel in einen glühenden Nebel reiten lassen.
    Eine Immunschwäche der Seele!
    Weil ich dir alles so harmlos wie möglich darstellen muss. Das ist schon Routine. Sobald Weibliches dran ist, schalt ich um auf Verkleinerung. Verharmlosung.
    Verheimlichung. Geheimhaltung.
    Genau. Ich will dir immer alles erträglich machen. Weil es auch erträglich ist. Weil ich dich liebe. Dich immer geliebt habe. Glücklich bin, dass dir das Älterwerden nichts anhaben kann. Meine Augen sind mit dir gealtert. Gerda, du bist keinen Tag älter geworden seit unserem ersten Tag. Ich habe dein Älterwerden nicht als Älterwerden bemerkt. Ich übertreibe jetzt nicht. Was du warst, was ich war vor 29 Jahren, das war etwas Rohes, Unfertiges, Schönes, ein Naturzustand, ein Reichtum an Versprechen, wir waren ein roher Diamant. Dann wurde geschliffen, einhunderttausend Minuten lang, immer vom Schicksal selbst, wir beide immer gefordert, immer überfordert, immer bedroht von der Lebensblamage schlechthin, immer ein Gegeneinander in der Aufeinanderangewiesenheit, immer ein totales Miteinander in einem unerklärten, aber nie aufhörenden Krieg. Immer in einer Gesellschaft, die darauf spezialisiert ist, uns zu erledigen. Das macht aus Männern Physiognomien der Trostlosigkeit. Und Frauen sehen dann öfter beschädigt aus. Und du eben nicht! Überhaupt nicht. Und das kommt von unserer unheimlichen, entschuldige, ich sehe ein furchtbares Wort entstehen und kann es nicht vermeiden, das kommt von unserer unheimlichen Synchronizität. Das ist eine unwählbare Gestimmtheit. Das ist die Übereinstimmung selbst. Noch schlimmer als Synchronizität ist Harmonie. Du weißt, Fremdwörter sind meine Feinde. Überhaupt Wörter, Gesten, Gerda. Gib mir die Hand.
    Sie gibt ihm eine Hand. Er nimmt sie mit beiden Händen.
    Gerda, deine Liebe und meine Liebe, unsere Liebe, ist die ewige Liebe. Unverbrüchlich. Durch nichts zu widerlegen. Es gibt die augenblickliche Liebe, die die ewige Liebe werden will. Die kann man verdächtigen, wie du es tust. Und du hast hundert Gründe. Du und ich, wir sind verbunden durch ein Verständnis, das über alles hinausgeht, was sich andere vorstellen können. Ute-Marie Wiese, lass mich sie mit ihrem Namen nennen. Wiese heißt sie – Gerda. Ich habe nie etwas dagegen empfunden, dass du Schlatt geheißen hast. Eine geborene Schlatt! Das warst du, das bist du geblieben. Aufrecht, schlank, überflusslos, anfassbar, stark, Schlatt. Jetzt: Wiese. Das hätte doch nicht sein müssen! Aber es ist so, Gerda. Sie heißt Wiese. Kein Dichter hat je eine Frau, ein Mädchen Wiese genannt. Das kann nur der Wirklichkeit einfallen. Wehr dich doch nicht gegen die Zärtlichkeitsfülle dieses Namens. Du glaubst, ich schwärme! Ich zähle nur auf, was ich empfinde. Bitte, dann erklär du mir, warum ich sagen kann: Sie ist eine Landschaft der Liebe. Ein Gebirge der Zärtlichkeit. Ein Ozean der Empfindung. Und Ute-Marie! Wenn das keine innigste Kühnheit ist, wie dieser Vorname einen Anlauf nimmt, dann springt er in die Höhe und landet wo? Auf Wiese! Gerda, sie passt zu uns. Das ist mein Gefühl. Sie ist das, was wir hätten sein können. Wenn ich … was ich alles falsch gemacht habe! Ute-Marie ist ein Glücksfall für uns. Sag dazu noch nichts. Dafür, dass ich jetzt so sprechen kann zu dir, liebe ich dich, wie ich dich noch nie geliebt habe. Ich war noch nie so reich wie in diesem Augenblick. Ich liebe mehr, als ich je lieben konnte. Ich liebe dich, und ich liebe die Nachtschwester. Das ist ein Gefühl … der Umarmungsstärke. Sag, warum das nicht sein darf. Wenn du es mir sagst, dass ich es begreife, dann darf es nicht sein. Dann wird es nicht sein.
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