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Die Inszenierung (German Edition)

Die Inszenierung (German Edition)

Titel: Die Inszenierung (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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siegte! Aber das eigentliche Drama war der Claudio. Der Schauspieler, ich komm jetzt nicht auf den Namen, war Alkoholiker, er nuschelte den Text herunter und war doch der sinnlich drauflos lebende, sich andauernd selbst verführende Claudio. Auch wenn man nur jeden zehnten Satz wirklich verstand, verstand man alles. Stallhofer schon damals total textfest, litt unsäglich. Und einmal brach er aus: Er verlange Text, nicht Promille-Brei. Jetzt der Alkoholiker, Kurt hieß er: Wie von einem Blitz getroffen, bringt er die nächsten Passagen so geschmeidig, so souverän, so temperaturlos wie Stallhofer seinen Angelo. Und fragt mich, ob ich Claudio so wolle, so mit Unverwundbarkeit gesalbt. Ich bastelte einen Kompromiss. Aber mir war damals klar: Ich möchte nur noch mit Alkoholikern inszenieren. Mit Verlorenen. Aber dann nimmt man immer wieder die Unverletzbaren, die Stallhofers, ja, Kurt hieß er. Kurtchen, sagte seine Frau. Die immer dabei war. Die dafür sorgte, dass er überhaupt kam. Am Tag der Premiere gestand ich ihr meine Angst, ob ihr Mann den Text wirklich bringe. Und sie: Am Abend bringt Kurtchen immer alles. Den Satz kennst du. Mein Standardsatz für Premierenfieber: Am Abend bringt Kurtchen immer alles.
    Keine der drei von dir zuletzt Gebrauchten hat nach dir noch geheiratet. Ich würde mir das an deiner Stelle nicht zu hoch anrechnen. Du hast sie verdorben. Hast ihnen für kurze Zeit eine Hoch-Zeit vorgespielt und ermöglicht. Eine Schonzeit mit prinzipieller Alltags-Verleugnung. Wie lange wird es diesmal dauern? Britta drei Jahre. Carla zwei. Lavinia eineinhalb. Tendenz sinkend. Aber profitiert hast du jedes Mal.
    Wird nicht bestritten.
    Wenn ich deine Affären, entschuldige, deine … Geschichten summiere, kommt heraus: Du hast diese Frauen nur gebraucht als Spenderinnen von Energie.
    Lass das NUR weg.
    Gern. Darf ich ein Bild wählen für das, was diese Frauen für dich waren, wenn sie dir Energie gespendet haben?
    Bitte.
    Steckdosen. Protestier nicht gleich. Und du hast für den Strom, den sie dir lieferten, nicht bezahlt.
    Mit Verlaub, davon weißt du nichts. Und Goethe habe das, hör ich, auch so gemacht. Und Brecht auch. Und andere.
    Wie verkommen bist du eigentlich, dass du das für eine Entschuldigung hältst?
    Entschuldigung nicht, Erklärung.
    Kumpanei, mehr nicht. Alles, was du jetzt herunterorgelst, diese enorme Tönerei, was sich aufplustert, als sei es des Geschlechtlich-Anthropologischen letzte Weisheit, ist nichts als Lyrik zur Sex-Verklärung.
    Gerda, im Theater, in der Requisite ist jeder Quadratzentimeter gepflastert mit Nacktfotos. Fotos von Frauen, die die Männer, die dort arbeiten, nie auch nur von ferne zu sehen bekommen. Schönheit, brutal oder sentimental, aber Schönheit. Weibliche Schönheit als das Anbetungswürdigste überhaupt. Da kommst du mit deinem Fortpflanzungsbefehl! Gerda, das ist Gottesdienst. Und der Gott heißt: Weib! Weib! Weib! Wart noch! Es gibt ein Beispiel. Ich habe als Abschluss-Arbeit auf der Schauspiel-Schule Stella gemacht. Du warst noch nicht in Sicht. Ich hatte noch nichts erlebt, und was habe ich getan? Ich habe inszeniert die späte Fassung des Stücks, die von 1806, die der so große wie vernünftige Goethe schrieb, weil die erste Fassung, wie es heißt, Anstoß erregt hatte. In der ersten Fassung: Das Trio Stella, Fernando, dessen Geliebte Stella ist, und seine Frau Cäcilie, sie können nicht voneinander lassen. Fernando umarmt beide und ruft: Mein! Mein! Stella ruft, an ihm hängend: Ich bin dein! Cäcilie, an seinem Hals: Wir sind dein! Die Gefühle bestimmen, was geschieht. Weil sie keine Trennung ertragen, trennen sie sich nicht. Jeder nimmt den eigenen Anspruch so weit zurück, dass die Ansprüche zu einander passen. Das führt unversehens zu einer Freiheit. Freiheit vom bloßen Besitzenwollen. Freiheit, die schönste Wahl zu treffen. Es ist Freiheit des Geistes. In einer Ehe zu dritt. Und das durfte nicht sein. Das erregte Anstoß. Also wird aus dem Schauspiel für Liebende das Trauerspiel. Die Frauen machen edelste Angebote des Verzichts, aber Fernando weiß, es darf nur EINE sein, also nimmt er die Pistole, geht langsam von der Bühne, man hört den Schuss, der Anstand hat gesiegt. Und Stella stirbt gleich auch noch. Es überlebt Cäcilia, die Ehefrau! Frau von Stein war das noch zu wenig. Fernando erschießt sich, schreibt sie, und mit dem Betrüger kann man kein Mitleid haben. Wahrscheinlich hätte sie ihn gern gefoltert gesehen. Übrigens ist
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