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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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die bereits beim Pastor warten. Wir werden beten. Das schwöre ich bei meinem Leben!«
    »Schwört lieber nicht, Vogt Boyunga, nicht heute Nacht.« Sie legte das Fleisch in ein Tuch und schlug die Zipfel fest darüber. Dann schwenkte sie den Topf mit der schon kross gebratenen Speckschwarte zur Seite, sodass die Flammen ihn nicht mehr weiter erhitzten. Tasso verstand, was dies zu bedeuten hatte: Den mit Vorfreude erwarteten Weihnachtsbraten würde es so bald nicht geben.
    »Ich werde dir dankbar sein, solange ich lebe «, sagte der Inselvogt, als seine Mutter nach ihrem Beutel griff. Jeder Inselbewohner wusste, dass dessen Inhalt für die Besitzerin zu Zeiten der Hexenverfolgung noch das Todesurteil bedeutet hätte.
    »Gib mir die dicke Wolldecke, Tasso, und nimm das Fell. Wir müssen über den Hammrich, Junge. Du weißt, wie weit der Weg ist.«

2
    I m Winter war der Hammrich ein Ort, den man nur schnell genug hinter sich lassen wollte.
    Schon die ersten Schritte, die Tasso und seine Mutter aus dem Dorf an der Bill auf das Stück Niemandsland setzten, wurden vom Sand gebremst. Schwer hing der Brei aus Schlick und zermahlten Muschelschalen an den Sohlen, immer tiefer sank der Fuß. Kaum waren sie aus dem Windschatten der letzten Randdünen getreten, kam es Tasso vor, als säße dort unter der Insel ein Wesen und versuchte, ihn festzuhalten. Es zog an seinen Beinen und machte ihm das Gehen fast unmöglich.
    »Mutter, ich schaffe das nicht.« Wenn Tasso daran dachte, dass sie erst den kleinsten Teil der Strecke hinter sich gebracht hatten, wuchs seine Angst.»Lass uns umkehren «, flehte er.
    Er musste schreien, um im tobenden Wind die Ohren seiner Mutter zu erreichen. Sie hatte ihre schwere Wolldecke fest um den Kopf gebunden und blickte stur geradeaus.
    Tasso hielt sich die Hand vor den Mund, um noch atmen zu können. Denn obwohl der Sturm sie im Rücken anschob, wehten einige kalte Böen immer wieder mitten in sein Gesicht und erstickten ihn beinahe mit ihrer Gewalt.
    Er versuchte, einen Zipfel ihres Umhangs zu greifen. Doch die Mutter verlangsamte noch nicht einmal den Schritt.
    Der Regen war dicht wie ein Schleier, und die Nacht brach allmählich herein, auch wenn man den Unterschied kaum bemerkte, da der Sturm bereits alles verdunkelt hatte. Tasso verspürte schreckliche Angst, die Mutter aus den Augen zu verlieren.
    Er schluckte ein paar Tränen herunter.
    Plötzlich erfüllte ein dumpfes Krachen die Sturmnacht. Von der Seeseite her grollte es wie ein Donnerhall. Das konnte kein Gewitter sein, dachte Tasso, denn der Blitz, den er in weiter Entfernung ausmachte, flackerte direkt über der Wasseroberfläche und war zu klein, um aus den schweren Wolken zu stammen. Selbst seine Mutter blieb jetzt erschreckt stehen. Tasso näherte sich ihr.
    »Eine Kanone, Mutter! Da draußen ist ein Schiff. Direkt auf dem Köper Sand! «
    »Sie sind in Seenot, Tasso. Sie schießen mit ihren Kanonen, damit wir ihnen zu Hilfe eilen.«
    Der Köper Sand, eine tückische Untiefe zwischen zwei scheinbar bodenlosen Seegatts, war nur knapp zwei Meilen entfernt. Es geschah nicht selten, dass hier Schiffe stecken blieben. Bei ruhiger See war dies auch kein Grund zur Aufregung. Doch bei einem Sturm wie an diesem Abend konnte das gewaltsame Zusammenspiel von Wasser, Wind und scheuerndem Meeresgrund den größten Dreimaster zu Kleinholz zerbersten.
    Tasso ließ seine Augen dorthin wandern, wo er mit viel Anstrengung die schwachen Lichter der Inselkirche ausmachen konnte.
    »Die Leute in der Billkirche haben den Kanonenschuss mit Sicherheit auch gehört. Gleich werden sie herausstürmen und die Boote klarmachen.«
    Mutter schloss die Augen. Noch immer machte sie keine Anstalten, ihren Weg fortzusetzen. Tasso war verwundert, denn es war ganz und gar nicht ihre Art, sich von irgendetwas aufhalten zu lassen.
    »Es ist die Prüfung, von der Elias Thielen sprach «, flüsterte sie.
    Tasso erinnerte sich, dass seine Mutter diesen Namen auch im Beisein des Inselvogtes ausgesprochen hatte. Fragend sah er sie an.
    »Elias Thielen war ein weiser Mann, Tasso. Er hat den Juistern oft gepredigt, dass ihr scheußliches Handeln nicht ohne Strafe bleiben wird.«
    »Was haben sie denn getan?«
    »Nicht selten setzen die Leute hier falsche Lichter, damit es noch anderen so ergeht wie diesem Kriegsschiff da draußen. Sie eilen dann erst zum Strand, wenn es Zeit ist, sich um das Treibgut zu streiten. Elias Thielen wollte, dass seine Gemeinde damit aufhört. Sogar
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