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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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die sowohl in der Kirche wie überall auf Juist gehalten wurden. Immer ging es darum, das sandige Eiland, auf dem sie alle lebten, zu erhalten.
    Und nun redete seine Mutter, die kleine, gebeugte Geesche Nadeaus, von der alle behaupteten, sie sei eine Hexe mit einem vaterlosen Sohn, ausgerechnet seine Mutter redete in einem solchen Ton mit diesem Mann. Was, wenn sie für ihre Worte belangt würde? Niemand sprach ungestraft auf diese Weise mit dem Inselvogt.
    Endlich schaute sie auf.»Geht in die Kirche und betet für Euer armes Weib. Und für das Kind, welches sie zu zerreißen droht. Ich habe Euch gewarnt, Imke ist zu schmal und zu schwach, um immer und immer wieder geschwängert zu werden. Sie ist nicht wie die anderen Insulanerinnen, die es an Kraft und Gestalt mit den meisten Mannsbildern aufnehmen können. Das müsste Euch klar sein.«
    Das Nicken des Beschuldigten wirkte wie bei einem kleinen Jungen, der Schelte für einen üblen Streich bezog. Schuldbewusst wiegte er sich vor und zurück.
    »Ihr erinnert Euch an die letzte Geburt?«
    Der Vogt nickte.
    »Das Kind war schon tot, als ich es aus ihr herausgezogen habe. Und Eure Frau wäre auch beinahe krepiert, blutleer, wie sie war. Die Möglichkeit, dass Euer Weib diese Nacht überleben wird, ist so groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass bei Ebbe der Hammrich mit Wasser bedeckt ist.«
    Die Augen des Mannes wurden groß. In ihnen waren gleichzeitig Angst und Hoffnung abzulesen.»Aber das kommt vor, nicht wahr? Manchmal bleibt auch bei Niedrigwasser das Meer auf dem Inseldurchbruch liegen. Sie kann es also schaffen?«
    »Ihr solltet es wissen «, gab Tassos Mutter zurück.»Die Höhe des Meeres und alles andere liegt in Gottes Hand. Also geht zu Eurem Freund Pastor Altmann und kniet nieder, wenn Ihr in der winzigen Kirche den Platz dafür findet. Dies ist das Einzige, was Ihr für Eure Frau tun könnt, Vogt Boyunga.«
    Das Seufzen des Mannes klang gerade so wie die Jammerlaute, die das alte Haus bei einem Nordweststurm wie heute von sich gab. Seine eigentlich hochgewachsene Gestalt schien in sich zusammenzusinken.
    »Ihr wisst, was der Vorgänger des Pfaffen einmal gesagt hat. Damals, bevor Ihr ihn von der Insel gejagt habt.«
    »Elias Thielen, der Spökenkieker? Du meinst doch nicht etwa … « Der Vogt richtete sich so schnell auf, dass er sich den Kopf an einem der rauchgeschwärzten Balken stieß. Die Schnur mit den getrockneten Bohnen schwankte hin und her.
    »Heute ist die Nacht, von der er sprach.«
    »Er war ein falscher Prophet, Geesche Nadeaus. Was er voraussagte, entsprang seinem kranken Hirn.« Das Verhalten des eben noch so unterwürfigen Besuchers änderte sich mit einem Schlag. Er schien jetzt aufgebracht über die Worte der Mutter zu sein. Tasso konnte die Adern an der Stirn des Inselvogtes schwellen sehen.
    Doch seine Mutter fuhr unbeirrt fort. Fast leierte sie die nächsten Sätze herunter wie ein tausendfach gesprochenes Gebet:»Das gottlose Streben der Insulaner, das Geifern nach dem Unglück der Schiffbrüchigen, der Neid und die Unbarmherzigkeit untereinander, es wird ein Urteil vollstreckt werden für die Sünden der Insulaner -«
    »Hör auf, so zu reden, altes Weib!«, rief der Vogt dazwischen.
    » … in einer Nacht, die das Weltenheil verspricht, wird-«
    »Ich habe gesagt, du sollst schweigen!«
    » … Gott selbst gegen die Regeln verstoßen und -«
    »Ich warne dich!«
    » … sie alle verschlucken, als wären sie nichts weiter als Sandkörner im Fluge des Sturms.«
    Es war nun still in der Kate. Der Vogt atmete heftig ein und aus, sein Sohn umklammerte angstvoll seinen Unterarm. Ein Holzscheit fiel Tasso aus der Hand und landete mit einem kurzen Knacken im Feuer. Niemand sagte ein Wort. Selbst der Orkan schien sich einen Wimpernschlag lang an ein unausgesprochenes Schweigegebot zu halten. Und obwohl sie zu viert auf engstem Raum und nah bei der Feuerstelle standen, lief Tasso ein frostiger Schauer über den Rücken.
    Erst Tassos Mutter beendete den gespenstischen Augenblick. Sie wischte sich die feuchten Hände an ihrem Rock ab.»Gut, Vogt Boyunga, ich werde nach ihr sehen. Geht in die Kirche zu den anderen. Sagt ihnen, dass die Nacht, von der Elias Thielen sprach, gekommen ist. Vielleicht haben sie noch eine Möglichkeit, das Schicksal abzuwenden, ich weiß es nicht. Schließt mich und meinen Sohn Tasso in Eure Gebete ein.«
    »Das werden wir, nicht wahr, Gerjet?« Er streichelte den Kopf des Jungen.»Und auch meine anderen Söhne,
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