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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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Lateinischen und bedeutet so etwas wie Der vom Fürsten Berufene. Ein Vogt bekommt seinen Lohn ja direkt vom Fürsten, er ist sein Stellvertreter, also derjenige, der sich um die Einhaltung der fürstlichen Erlasse kümmert. Und dass ein Fürst sich von einem Weib vertreten lässt, davon habe ich wirklich noch nie gehört.« Pastor Altmann schüttelte den Kopf und lachte, als fände er die Vorstellung wirklich sehr komisch.
    Maikea war anderer Meinung:»Aber im Sommer, wenn die Männer auf See sind, da kümmern sich doch auch die Frauen um die Insel. Sie bestellen die Felder, sorgen für das Vieh, sammeln Schill … «
    »Doch nur, weil der Inselvogt ihnen sagt, was zu tun ist.«
    »Aber der Inselvogt, den wir jetzt auf Juist haben, ist ein Faulpelz. Das habt Ihr selbst gesagt. Er taugt zu nichts, außer sich seinen Anteil in die Taschen zu stopfen, wenn es Strandungen gegeben hat. Dies sind Eure eigenen Sätze, Pastor, die habe ich mir nicht ausgedacht!«
    »Frauen brauchen eine starke Hand, damit sie nicht aus dem Ruder laufen, Maikea.«
    »Nicht alle Frauen sind gleich. Meine Mutter hat sich niemals so aufgeführt!«
    »Deine Mutter kommt aus einem ganz anderen Stall. Sie war Kammerfräulein am Auricher Fürstenhof. Sie hat in Federbetten geschlafen und sich jeden Tag das Gesicht mit Seife gewaschen, bis dein Vater sie kennengelernt und auf die Insel gebracht hat.« Pastor Altmann kramte in seiner Jackentasche ein Stück Papier hervor.»Wir haben großes Glück, Maikea. Ich habe einen Brief an die Fürstin Sophie Caroline von Ostfriesland geschickt. Deine Eltern scheinen am Auricher Hof noch in guter Erinnerung zu sein, jedenfalls … «
    Maikea entriss ihm das Schreiben. Buchstaben, so steil und gerade wie die Zinnen der Festlandskirchen, die sie nur von Bildern kannte, füllten das Blatt.
    »Ein Waisenhaus in Esens?«, schrie sie. Das durfte nicht wahr sein.
    »Eine gute Schule. Und die Einrichtung wird seit Jahren von hochgeachteten Pastoren geleitet, ein sehr gottesfürchtiges Haus!«
    »Aber was soll ich da? Ich will die Insel nicht verlassen!«
    »Es wird nicht so schwer sein, wie du denkst. Immerhin kam deine Mutter auch vom Festland, dort gibt es bessere Kleidung, bequemere Betten, und das Essen ist abwechslungsreicher. Vielleicht bist du sogar eines Tages ganz froh, ein bisschen mehr von der Welt gesehen zu haben als nur diese schmale Sandbank, auf der wir leben.«
    »Das wird nicht passieren! Niemals!«
    Es war kaum zu glauben, aber auf dem Gesicht des Pastors breitete sich ein Lächeln aus.»Du bist wie dein Vater «, sagte er und legte ihr wieder seine Hand auf die Schulter.»Diese Ader an der Stirn, wie sie anschwillt … Wie haben die Juister deinen Vater gefürchtet, wenn bei ihm dieses Zeichen unter dem Scheitel erschien!«
    »Mein Vater würde es sicher nicht zulassen, dass seine Tochter in ein Waisenhaus gesteckt wird. Ganz bestimmt nicht! Er war immer tapfer, er wusste stets eine Lösung für alle Probleme. Niemals hätte er mich fortgegeben!«
    »Weißt du, Maikea, es passiert manchmal, dass wir die Toten besser machen, als sie zu Lebzeiten gewesen sind.«
    »Was wollt Ihr damit sagen? Dass mein Vater kein Held gewesen ist?«
    »Er war vor allen Dingen ein Mensch.«
    »O nein, er war mehr als das! Er war, er war … « Sie konnte keinen Satz mehr aussprechen. Die Gemeinheit des Pastors ließ sie aufschluchzen, so heftig, dass ihre Stimme nach jedem Wort zerrissen wurde. Maikea schob seine Hand von ihrer Schulter, stand auf und rannte die Düne herunter. Er sollte nicht sehen, dass sie weinte.

2
    D as Sterben war leise geschehen. Eines Morgens, als Maikea bereits das Feuer im Kamin schürte und sich anschließend auf den Weg zur Schule machen wollte, traf ihr Abschiedskuss eine eiskalte Wange. Die Augen der Mutter waren geschlossen.
    Zahlreiche Nachbarn hatten versucht, Maikea zu trösten, doch ihr Herz war trotzdem nicht leichter geworden.
    Und nun war der Moment gekommen. Unausweichlich. Sämtliches Bitten und Flehen hatte nichts genützt, sie musste die Insel verlassen.
    Maikea saß in den Dünen in der Nähe der Schiffsanlegestelle und wartete auf das Boot, das heute zur Insel segeln würde, um ein paar Säcke Getreide, etwas Tuch und Garn zu liefern. Die Masten waren bereits am Horizont auszumachen. Der Wind stand günstig, und schon bald würde die Schaluppe an der Wattseite der Insel anlanden.
    Auf der Rückfahrt würde Maikea mit an Bord sein. Das erste Mal würde sie die Insel
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