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Die Inselvogtin

Die Inselvogtin

Titel: Die Inselvogtin
Autoren: Sandra Lüpkes
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musste lachen.»Was du hier siehst, hat vor hundert Jahren auch noch nicht so ausgesehen. Bis zur schrecklichen Petriflut war die Insel noch aus einem Stück. Hier ganz in der Nähe stand ein Kirchturm, der so hoch war, dass die Schiffer sein Leuchtfeuer bis in die Emsmündung sehen konnten und es ihnen den Weg entlang der Küste wies.«
    »Das ist doch schon fast achtzig Jahre her.« Maikea zupfte einen Halm vom Strandhafer heraus und kaute das Ende, so wie sie es immer tat, wenn Pastor Altmann ein bisschen Zeit für eine Unterhaltung fand.
    »Dir mag das wie eine Ewigkeit vorkommen. Aber ich bin im Jahr der Petriflut geboren worden.«
    »Woher weiß man das denn alles, wenn es schon so lange Vergangenheit ist?«
    »Die Insulaner haben diese Geschichten von ihren Eltern und Großeltern erzählt bekommen.«
    Für Maikea war das alles unvorstellbar, so als wäre eigentlich von einem fremden Ort die Rede und nicht von ihrer Heimatinsel, die sie seit ihrer Geburt kein einziges Mal verlassen hatte.
    Pastor Altmann hatte in der Schulstunde von zwei weiteren Inseln erzählt, die damals noch das Eiland einrahmten. Buise im Osten und Bant im Westen, letztere sei so nah gewesen, dass einige Bauern bei Niedrigwasser ihr Vieh zum Grasen dorthin geführt hatten. Doch als Maikea jetzt an diese Stelle schaute, wo die Abendsonne in den Spiegel des Wattenmeeres eintauchte, war von alledem nichts zu erkennen. Nicht die leiseste Ahnung einer Insel. Und von Buise konnte man nur noch ein paar armselige Grashalme sehen, dabei sollten dort vor einigen Jahren noch Menschen gelebt haben. Das stimmte Maikea traurig.
    Zum Glück hatte Juist bislang den Sturmfluten getrotzt, auch wenn die Insel erheblichen Schaden hatte erleiden müssen. Im ehemaligen Billdorf waren noch die verwitterten Grundrisse von Brunnen und Häusern zu erkennen. Geeschemöh hatte Maikea einmal mit hinübergenommen auf das ausgestorbene Stück Insel. Sie hatte ihr die Narben der Weihnachtsflut, wie sie sich ausdrückte, gezeigt. Die Stelle, an der damals ihre Hütte gestanden hatte, in der sie mit ihrem Sohn Tasso lebte. Geeschemöh hatte zuvor nie geweint, aber als sie an jenem Tag in einer Sandkuhle einen alten Topf fand, rußgeschwärzt an der Unterseite, da waren der alten Frau die Tränen gekommen. Sie hatte alles verloren bei dieser Flut. Ihr Haus und ihren Sohn würde sie nie wieder sehen. Und sie selbst hatte nur deshalb überlebt, weil sie Maikea in dieser Nacht auf die Welt geholfen hatte.
    Seit jener Sturmflut lebten nun alle Insulaner in der östlichen Siedlung, im Loog.
    Die Wunde zwischen den beiden Inselteilen klaffte seitdem immer breiter, und schon bei einer gewöhnlichen Flut wurde der Hammrich kniehoch überspült. Ein Besuch an der Bill musste also gut überlegt und dem Takt der Gezeiten angepasst sein. An Sommertagen, so wie heute, war dies ein fröhliches Spiel. Doch wenn es ab Oktober kalt und stürmisch wurde, war es zu gefährlich.
    Pastor Altmann setzte sich aufrecht hin, stemmte seinen Stock in den Sand und legte die Arme darauf, als müsse er sich beim Sitzen festhalten.
    »Wie gesagt, ich habe mir schon vor Wochen Gedanken gemacht, was mit dir geschieht, wenn deine liebe Mutter nicht mehr unter uns weilt.«
    Maikea stemmte die Fäuste in die Hüften.»Was mit mir geschehen soll? Was meint Ihr damit?«
    »Du vergisst, dass auch ich nicht ewig leben werde. Wenn man so alt ist wie ich, kann es jeden Tag geschehen, dass der Herrgott einen zu sich holt.«
    »Bis dahin bin ich groß genug, um alleine zurechtzukommen.« Es war eine Mischung aus Trotz und Überzeugung, mit der Maikea den letzten Satz ausgesprochen hatte.
    »Und wovon willst du dann leben?«
    »Ich … Ich werde einfach Inselvogtin.« Dieser Satz war schneller über Maikeas Lippen gesprungen, als sie ihn in Gedanken hatte wahrnehmen können.
    Pastor Altmann legte seine Hand auf ihre Schulter.»Frauen können nicht Inselvogt werden.«
    »Können nicht? Oder dürfen nicht?«
    »Ein Vogt ist immer der wichtigste Mann auf der Insel.«
    »Nach dem Pastor, denke ich «, warf Maikea ein und gab sich keine Mühe, den Spott in ihrer Stimme zu verbergen.
    »Vorlaute Mädchen werden es sowieso nicht weiter bringen als zum Schill sammeln am Strand. Dafür sorgen die Männer schon.«
    Ein wenig beleidigt legte Maikea die Lippen aufeinander und schwieg.
    »Inselvogt kann man nicht einfach so werden, wie man vielleicht Schiffer oder Bauer oder Pastor werden kann. Das Wort Vogt kommt aus dem
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